Wer einen seiner Truthähne will, muss früh anfragen
3500 Vögel in Brütten Über 3000 Truthähne leben auf dem Hof von Beat Morf in Brütten. In den Wochen vor den Festtagen wollen die Kunden häufig ganze Vögel kaufen. Doch das ist gar nicht so einfach.
Im Truthahnstall von Beat Morf herrscht Aufregung. Eben ist eine Krähe am Gehege vorbeigeflattert. Für die weissen Truten ein Grund, um wie auf Kommando im Einklang loszugackern. Wobei Gackern wahrscheinlich das falsche Wort ist – das Geräusch, das Truthähne von sich geben, wenn es vermeintlich gefährlich wird, erinnert eher an hysterisches Gelächter.
«Viel braucht es nicht, bis die Truthähne loslegen. Vor allem dann nicht, wenn die männlichen Tiere geschlechtsreif werden», sagt Bauer Morf, nachdem im Stall wieder Ruhe eingekehrt ist. Ein Flieger, der über den Hof in Brütten hinwegdonnert, ein Mensch, der sich den Tieren nähert, oder ein Auto, das am Gehege vorbeiruckelt, und schon glucksen die Vögel. Entsprechend hoch ist der Lärmpegel in der Nähe eines Truthahnstalls. Wenn sich die Vögel im Aussenbereich aufhielten, seien sie manchmal sogar in einer Entfernung von einem halben Kilometer zu hören, sagt der Bauer. Ihn selbst störe das Gegacker nicht. Er habe sich daran gewöhnt.
Nach über zwei Jahrzehnten in der Trutenmast kein Wunder. Damals, vor 25 Jahren, suchte die Schweizer Geflügelproduzentin und -vertreiberin Frifag nach Landwirten, die ins Truthahngeschäft einsteigen wollten. Beat Morfs Vater Walter Morf stellte darauf einen Teil seines Landwirtschaftsbetriebs um. Nur sieben Jahre nachdem die ersten Truten auf dem Bauernhof in Brütten eingezogen waren, konnte die Familie den Truthahnbetrieb aufs Doppelte ausbauen. Mittlerweile bietet der Brüttemer Stall Platz für rund 3500 Vögel.
Ginge es nach dem Gusto der Schweizerinnen und Schweizer, könnten es noch mehr sein. Die Nachfrage nach Trutenfleisch sei in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, sagt Morf. Dies bestätigt auch die Frifag. Rund 3 bis 5 Prozent wächst der Trutenmarkt laut Geschäftsleiter Andi Schmal pro Jahr.
Das Trutenfleisch, das auf Schweizer Tellern landet, stammt aber in den meisten Fällen aus dem Ausland. Schweizer Produzentinnen und Produzenten können nur rund 18 Prozent des Bedarfs decken. Die Frifag verarbeitet über 90 Prozent der gesamten Schweizer Trutenproduktion. Insgesamt 28 Schweizer Landwirtinnen und Landwirte halten Truten für die Frifag – Morf ist einer von ihnen.
Wie sämtliche Frifag-Produzenten hält auch Morf seine Truthähne nach IP-Suisse-Standard. IP Suisse ist kein Biolabel, will aber eine umweltschonende und tiergerechte Landwirtschaft fördern. IP-Suisse-Betriebe müssen sich also an strengere Richtlinien halten als konventionelle Betriebe. So verfügt Morfs Stall über einen Wintergarten sowie über eine Weide, auf der sich die Truten bei schönem Wetter austoben können.
Weibchen werden früher geschlachtet
«Alle 15 Wochen erhalten wir von der Frifag eine neue Ladung Jungtiere», sagt Morf. Diese sind bereits nach Geschlecht getrennt, sechs Wochen alt und etwa zwei Kilo schwer. Die Küken selber aufzuziehen, ist für Morf keine Option. Dafür bräuchte es spezielles Equipment wie Wärmelampen.
«Wir mästen die Tiere und erhalten dafür eine Entschädigung», sagt Morf. Die Schlachtung übernimmt wieder die Frifag. Sie holt die Vögel in Brütten ab und transportiert sie nach Mägenwil im Kanton Aargau zu einem Geflügelschlachthof.
Morf zeigt auf eine Trute, die in Staccato-Schritten durch den Wintergarten des Stalls stolziert. Sie ist deutlich kleiner als die anderen Vögel im Gehege. «Da hinten hats noch ein Weibchen. Das ist uns entwischt.» Dass das Weibchen noch lebe, sei ein Versehen. Die Truthühner werden nämlich im Schnitt bereits nach einer Mastzeit von sieben bis acht Wochen geschlachtet, da sie dann ihr Schlachtgewicht von circa neun Kilo erreichen.
Die Hähne bleiben dagegen rund 12 bis 14 Wochen bei Morf und bringen am Schluss bis zu zehn Kilo auf die Waage. In freier Wildbahn werden Truthähne im Schnitt drei bis vier Jahre alt. In Gefangenschaft können die Tiere durchaus auch ein Alter von zehn Jahren erreichen.
Gefragte Festtags-Truthähne
Nach der Schlachtung werden die Truthähne zerlegt, weiterverarbeitet und an Detailhändler, Metzgereien sowie den Grosshandel geliefert. Einen kleinen Teil der Tiere vertreibt Morf direkt über den Hof. Dort sind gerade vor Thanksgiving, dem amerikanischen und kanadischen Erntedankfest, und vor Weihnachten auch ganze Vögel gefragt.
Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn Tiere, die unzerteilt verkauft werden sollen, müssen aussortiert und separat gemästet werden, damit sie ihr Schlachtgewicht zum richtigen Zeitpunkt erreichen. Am gefragtesten seien Festtagstruten mit einem Gewicht von vier bis sechs Kilo. «So passen sie noch in einen herkömmlichen Backofen.» Es gebe aber auch Familien, die besonders grosse Truthähne wünschen. «Die können dann gut auch mal elf Kilo wiegen.»
Um diesen Wünschen gerecht werden zu können, hat Beat Morf seinen Bruder mit ins Boot geholt. Dieser zieht auf seinem Hof in Trüllikon vor den Festtagen an die hundert Truthähne gross und bringt sie so in Festtagsform. Anders als die Truten auf dem Hof in Brütten, sind die Trülliker Truten unterschiedlich alt, sodass eine breite Auswahl an Gewichten angeboten werden kann. «Wer einen Festtagstruthahn will, muss sich frühzeitig bei uns melden», sagt Morf.
Die Frifag hat den grossangelegten Festtagsverkauf von ganzen Truthähnen seit letztem Jahr eingestellt. Andi Schmal schreibt auf Anfrage, dass sich dies nicht mehr mit der Produktion habe vereinbaren lassen.
In Brütten kommt an Weihnachten übrigens auch Truthahn auf den Tisch. Allerdings nicht als ganzer Vogel. «Wir schneiden das Fleisch in kleine Plätzchen und braten diese auf dem Tischgrill», sagt Beat Morf. «Dazu gibt es Raclette.»