Aktivistin: «Von Pfungen können sich andere Gemeinden eine Scheibe abschneiden»
Ukrainische Geflüchtete Die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter bringt viele Gemeinden ans Limit. In Pfungen funktioniert es derweil gut, sagt eine ukrainische Aktivistin und Übersetzerin.
Frustrierte Gastfamilien, Geflüchtete, die sich in Massenunterkünften nach Privatsphäre sehnen, und Sozialbeamte, die sich vor lauter Arbeit kaum noch retten können – dass die Flüchtlingssituation zurzeit viele an ihre Grenzen bringt, ist kein Geheimnis. Gerade für Gemeinden ist die jetzige Situation oftmals eine Herausforderung, die nur schwer zu meistern ist. So musste sich zum Beispiel Aadorf bei der Unterbringung von Geflüchteten ganz auf Gastfamilien verlassen, denn über eigenen Wohnraum verfügt die Gemeinde nicht.
Eine, die nicht nur die Sorgen und Schwierigkeiten der Geflüchteten gut kennt, sondern auch eng mit Gemeinden zusammenarbeitet, ist die Aktivistin und Verlegerin Julia Peters. Als der Krieg ausbricht, gründet die gebürtige Ukrainerin kurzerhand den Verein «Good Friends for Ukraine», der unter anderem Jobbörsen für ukrainische Flüchtlinge organisiert und Essen sowie Kleider verteilt. Ausserdem ist Peters, die in Winkel ZH lebt, für verschiedene Gemeinden im Kanton als Übersetzerin tätig. So auch in Pfungen.
Und dort, so Peters, werde gerade «Aussergewöhnliches» geleistet. «So gut wie in Pfungen läuft es in keiner anderen Gemeinde», sagt sie. Statt in Kollektivunterkünften oder bei überforderten Gastfamilien seien die meisten Geflüchteten in Wohnungen untergebracht. Auch finanziell würden die Flüchtlinge grosszügig unterstützt: Mit Gutscheinen fürs Brocki, Gratiseintritten für die Badi, Kinderbetreuung für berufstätige Frauen oder der Bezahlung von Deutsch- und Berufsintegrationskursen. «Und sind die Ukrainerinnen und Ukrainer mit Schwierigkeiten konfrontiert, ist immer jemand von der Verwaltung zur Stelle, an den sie sich wenden können.»
Probleme frühzeitig anpacken
Dass dies nicht die Regel ist, weiss Peters nur zu gut. Sie steht mit etlichen Flüchtlingen in Kontakt und begleitet diese als Übersetzerin bei Behördengängen. Oft gebe es in Gemeinden nur bestimmte Zeitfenster, in denen sich die Geflüchteten mit ihren Anliegen bei der Verwaltung melden können. «Die Menschen werden so lange mit Problemen alleingelassen.» Und immer wieder stiessen die Geflüchteten mit ihren Anliegen auf taube Ohren. Nicht so in Pfungen.
Die niederschwellige Ansprechbarkeit sei ein bewusster Entscheid gewesen, sagt die Leiterin des Pfungemer Sozialamts, Monique Baur. «Wir betreuen die Geflüchteten eng, aber ohne sie dabei zu bemuttern.» Wann immer möglich, sorge man dafür, dass jemand übersetzen könne – notfalls auch per Whatsapp. Ständig erreichbar zu sein, sei zwar im Moment manchmal störend, aber langfristig zahle sich das aus. «Wir können so Probleme frühzeitig erkennen und gleich aus der Welt schaffen, damit die Situation gar nicht erst eskaliert.» Oftmals handle es sich um Kleinigkeiten oder Missverständnisse, die sich rasch klären liessen.
Ein Beispiel: Als die Pfungemer Sozialarbeiterinnen von zwei älteren Frauen erfahren, die unbedingt einer Arbeit nachgehen wollen, arrangieren sie kurzerhand zwei Jobs in der Badi. Die beiden Frauen können dort als Putzkraft anfangen. «Sowohl von den Frauen als auch von der Badi haben wir positive Rückmeldungen erhalten.» Doch nach einer Woche tauchen die Frauen plötzlich nicht mehr auf. «Wir haben sie dann sofort eingeladen. Es stellte sich heraus, dass die Frauen ihre Arbeit niederlegten, weil sie dachten, die Badi sei nicht zahlungsfähig.» Der Grund: In der Ukraine erhalten Arbeitnehmende den Lohn wöchentlich ausbezahlt. «Wir mussten ihnen erklären, dass das Geld in der Schweiz monatlich kommt. Danach sind sie wieder bei der Arbeit erschienen.»
Glück bei der Wohnungssuche
Was die Unterbringung von Geflüchteten angeht, so setzt Pfungen tatsächlich in erster Linie auf Wohnungen, die sie eigens dafür anmietet. Sechs Wohnungen hat Pfungen neu angemietet, bei einer weiteren einen Untermietvertrag abgeschlossen. Für 17 der zurzeit 23 in Pfungen anwesenden ukrainischen Geflüchteten konnte so ein Dach über dem Kopf gefunden werden. Die restlichen 6 sind bei einer Gastfamilie untergebracht. Allerdings nicht in Zimmern, sondern in einer Einlegerwohnung mit eigener Küche und Bad.
Ziel der Gemeinde sei es, immer eine Wohnung auf Reserve zu haben. Zurzeit entwickle sich die Situation aber derart rasant, dass dies kaum möglich sei. «Wir bewerben uns laufend auf frei werdende Wohnungen», sagt Baur. Längerfristig hoffe sie darauf, dass in Pfungen ein sozialer Zweckbau mit sechs bis acht Wohnungen gebaut werden könne, der sowohl Asylsuchenden als auch Sozialhilfebezügern Platz bietet. «Das würde die Situation sicher vereinfachen.» Was die Unterbringung bei Gastfamilien anbelange, sei man dagegen zurückhaltend, denn deren Betreuung sei nicht zu unterschätzen. Gerade wenn der Platz beschränkt sei und Räumlichkeiten geteilt werden, könne dies für alle Beteiligten schwierig werden.
Dass Pfungen derzeit weitgehend ohne Gastfamilien auskommt, ist laut Baur auch einer Prise Glück zu verdanken. «Nachdem bekannt wurde, dass ukrainische Geflüchtete nach Pfungen kommen, hatten wir innerhalb von zwei Tagen vier Wohnungen.» So habe sich zum Beispiel ein Immobilienverwalter bei der Gemeinde gemeldet, der über zwei freie Wohnungen verfügte. «Uns kommt zugute, dass wir eine vergleichsweise kleine Gemeinde sind», sagt Baur. «Da kennt man sich, findet unkompliziert Unterstützung und kann einfach mit lokalen Betrieben zusammenarbeiten.»
«Leute sollen sich willkommen fühlen»
Eine solche Zusammenarbeit konnte das Sozialamt auch mit dem Pfungemer Brocki arrangieren. «Unser Arbeitsagoge Paul Wernli hat in einer Hosenlupf-Aktion sämtliche Wohnungen mit Möbeln aus dem Brocki ausgestattet», erzählt Baur. Bewusst habe man sich bei der Möblierung der Wohnungen nicht nur auf das absolut Nötigste beschränkt. «In jeder Wohnung gibt es zum Beispiel einen Staubsauger.» Auch für kleinere Dinge wie Toilettenpapier oder Spielzeuge bei Familien mit Kindern sorge man, bevor die Geflüchteten einziehen. «Wir möchten, dass sich die Leute hier willkommen fühlen», sagt Baur. Für zusätzliche Einrichtungsgegenstände stellt Pfungen den Geflüchteten einen Brocki-Gutschein über 150 Franken zur Verfügung.
Als Wohltäterin sieht sich Baur deswegen nicht: «Wir schauen schon genau hin, was die Ausgaben betrifft», sagt sie. So bezahle man für ältere Personen keine Intensiv-Deutschkurse, die auf die Berufsintegration ausgerichtet sind. «Ältere Menschen können Deutschkurse über das Solinetz besuchen. Diese finden an zwei bis drei Halbtagen pro Woche statt.» Nicht zuletzt sei es ihr ein Anliegen, dass es keine Bevorzugung von ukrainischen Geflüchteten gebe. Sonst könne dies im Dorf unter anderen Flüchtlingen und Sozialhilfeempfängern schnell zu Unmut führen.
Dass es in Pfungen derzeit so gut laufe, sei primär dem Team zu verdanken, sagt Baur. «Alle packen mit an, alle helfen mit – nicht nur wir vom Sozialamt, sondern auch Menschen aus anderen Abteilungen wie dem Forst oder den Liegenschaften.» Ob es so reibungslos weiterlaufe, stehe angesichts der ungewissen Zukunft in den Sternen. Trotzdem ist sich Julia Peters sicher: «Von Pfungen können sich andere Gemeinden eine Scheibe abschneiden.»