Unterwegs mit der Bürgerpatrouille in Seuzach
Im Einsatz gegen Einbrecher Um Einbrüche zu verhindern, patrouillieren besorgte Bürger in Seuzach seit über 25 Jahren durch die Strassen. Urs Graf ist Präsident des Vereins und seit Beginn dabei.
Es ist 17 Uhr. In Seuzach verschwinden die Umrisse der Bäume langsam in der Dämmerung. Ein Mann in einer schwarzen Jacke biegt zielstrebig in einen schmalen Weg ein – in seiner Hand eine Taschenlampe. Links und rechts des Weges stehen Wohnhäuser. Der Mann mit der Taschenlampe blickt hinauf zu einem Fenster. Es brennt Licht. Eine Frau stellt gerade einen Topf auf den Herd.
Der Mann richtet seine Taschenlampe auf einen Garten. Hinter einem perfekt geschnittenen Rasen stehen dicht beieinander Bäume. «Für einen Einbrecher ist das ideal», sagt der Mann. Das Dickicht biete Schutz vor aufmerksamen Blicken. Vor Blicken wie den seinen.
«Wir müssen etwas machen»
Urs Graf heisst der Mann, der an diesem kalten Novemberabend durch die Strassen Seuzachs zieht. Der 57-Jährige gehört zum Kern einer Quartierpatrouille mit 70 Mitgliedern, die in Seuzach in den Wintermonaten nach Einbrechern Ausschau hält – und das schon seit über 25 Jahren.
Damals, Mitte der 1990er-Jahre, gab es in Seuzach eine Einbruchsserie. Die Täter wurden nie gefasst, doch in Seuzach munkelt man, es seien Anhänger des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu gewesen, die nach dessen Sturz in die Schweiz geflüchtet seien. «Für unser Dorf war das ein Schock», sagt Graf. «Uns war klar: Wir müssen etwas machen.»
In der Gemeinde und bei der Polizei stiess die Idee der Patrouille zuerst auf Skepsis. «Was wirft das für ein Licht auf Seuzach?», habe es geheissen. «Was, wenn etwas passiert?», habe man gefragt. Der Gemeinderat distanzierte sich offiziell. Doch bereits einen Tag später stand ein Mitglied des damaligen Gemeinderates bei den Initianten auf der Matte – mit 800 Franken in der Hand. «Legt los», habe er gesagt.
Die Polizei weiss Bescheid
Bevor Graf sich auf den Weg macht, wählt er die Nummer des Polizeipostens in Winterthur. «Urs Graf hier, von der Quartierpatrouille Seuzach See-Weid. Ich gehe jetzt los», sagt er. «Alles klar», erklingt es aus dem Hörer.
Man sehe sich nicht als Konkurrenz zur Polizei, sagt Graf. Vielmehr gehe es darum, sie zu unterstützen. Damals in den 1990er-Jahren seien Polizisten nach Seuzach gekommen, um die Patrouillierenden auszubilden. «Die Polizei schätzt, was wir hier machen.» Denn anders als die Polizei kenne man das Quartier.
Und in der Tat: Auf Anfrage schreibt die Kantonspolizei, sie begrüsse jegliche Bestrebungen, die zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger beitragen. «Freiwillige Patrouillendienste können bei der präventiven Bekämpfung der Einbruchskriminalität eine weitere Unterstützung sein.» Wichtig sei, dass die Patrouille bei einer verdächtigen Beobachtung nicht selber einschreite.
Das sieht auch Graf so: «Unterlassen Sie auf jeden Fall ein aktives Eingreifen», steht in fett gedruckten Lettern auf dem Merkblatt geschrieben, das er an Neuzukömmlinge verteilt. «Wir sind keine Bürgerwehr», sagt Graf. «Wir tragen keine Waffen, nicht einmal einen Pfefferspray – das wäre zu gefährlich.» Oberstes Gebot sei, dass niemand verletzt werde. «Wir wollen unsere Mitglieder auf keinen Fall in Gefahr bringen.»
Mit leeren Händen gehen aber auch die Seuzemer nicht auf Patrouille. Immer mit dabei ist eine schwarze Tasche: Darin befinden sich ein Schrillalarm, eine Taschenlampe und ein Handy mit extra grossen Tasten. «Gut zwei Drittel der Patrouillierenden sind bereits pensioniert.» Die Bedienung eines Handys falle nicht allen leicht.
In der Tasche befindet sich auch das Patrouillenbuch. Darin wird genau protokolliert, was verdächtig erscheint. Ein unbekanntes Auto oder eine fremde Person, die zu lange an einem Ort verweilt. Die Tasche und das Buch werden von einem Patrouilleur zum nächsten weitergereicht.
Harmlos oder nicht?
Urs Graf zeigt auf ein Fenster. Darin brennt Licht. Zu sehen ist niemand. «Wenn Licht brennt, ist das ein gutes Zeichen, darauf achten wir.» Sei es dunkel, schaue man, ob sich etwas bewege. Oder ob irgendwo eine Taschenlampe leuchte. Vor kurzem ist ein Velo quer in einer Einfahrt gestanden. Das machte Graf stutzig. Er beobachtete die Situation. Am Schluss war dann doch nichts Gefährliches dran.
So ist es in vielen Fällen, in denen die Patrouille aktiv wird. Einmal sei ein «Kampfhund» durchs Quartier gestreift, und einmal habe man über längere Zeit ein Auto mit einer Aargauernummer beobachtet. In beiden Fällen hat die Patrouille die Polizei informiert. Das Resultat: Der «Kampfhund» wurde von seinem Besitzer nicht gefüttert und suchte nach Essensresten; der Aargauer besuchte seine Seuzemer Freundin.
Richtig brenzlig ist es in den gut 25 Jahren erst ein paar Mal geworden. Circa zehn Mal habe man tatsächlich einen Einbruch beobachtet. Die Patrouillierenden informierten sofort die Polizei und versuchten, sich das Aussehen der Einbrecher einzuprägen.
«Seuzach gehört zu den sichersten Gemeinden im Kanton», sagt Graf. «In 90 Prozent der Patrouillen passiert gar nichts Verdächtiges.» Überhaupt fänden Einbrüche heute nicht mehr vorwiegend in der Dämmerungszeit statt, in der die Patrouille unterwegs sei. «Einbrecher dringen heutzutage oftmals auch am Morgen in Häuser ein.»
Und dennoch treibt es die Leute auf die Strasse. Aus Angst? «Vielleicht geht es unseren älteren Mitgliedern darum, etwas zu einem sicheren und lebenswerten Quartier beizutragen. Darum, eine Aufgabe zu haben.» Er glaube schon auch, dass die Angst bei Seniorinnen und Senioren stärker sei. «Ein Einbruch ist ein Eingriff in deine intimste Privatsphäre. Das hallt nach und lässt dich so schnell nicht mehr los.» Graf weiss, wovon er spricht. Bereits zweimal wurde bei ihm eingebrochen. Tagsüber, als er auf der Arbeit war. Verhindern konnte das auch die Patrouille nicht.