Seit einem halben Jahrhundert ist er Samichlaus

Adventszeit in Pfungen Hansruedi Schmidhauser arbeitet seit fünfzig Jahren als Samichlaus. Kinder in den Jutesack zu stecken, kommt für den Pfungemer nicht infrage.

Der Pfungemer Hansruedi Schmidhauser (75) gestaltet sein goldenes Chlausbuch komplett von Hand. Foto: Marc Dahinden

Als der Samichlaus zum ersten Mal bei Hansruedi Schmidhauser an die Tür poltert, gefriert dem kleinen Buben das Blut in den Adern. Ganz in Schwarz gekleidet, schreitet die düstere Gestalt in die Stube. Aus dem Jutesack ragt ein Bein. Das gehöre einem Buben, der nicht brav gewesen sei, sagt der Samichlaus. Hansruedi ahnt, dass ihm ein ähnliches Schicksal droht. Seine Eltern hatten ihn gewarnt: «Wenn du nicht folgst, dann steckt der Samichlaus dich in seinen Sack und nimmt dich mit.»

Der 6. Dezember wird für Hansruedi fortan zum Tag des Grauens: Jedes Jahr kommt der Samichlaus, und jedes Jahr macht sich Hansruedi an diesem Abend in die Hosen. «Es war, als würde der Teufel uns besuchen», sagt der heute 75-Jährige.

Auch Eltern werden gerügt

Rund zwanzig Jahre später – Hansruedi Schmidhauser arbeitet inzwischen als Coiffeur in Pfungen – fragt ihn seine Schwester, ob er nicht für ihre Kinder den Samichlaus spielen wolle. Er zögert, sagt dann aber doch zu – unter einer Bedingung: «Wenn ich euch besuche, dann bin ich ein gutmütiger Samichlaus.»

Also zieht er am 6. Dezember 1971 das erste Mal das rote Gewand über. «Es hat mich sofort gepackt», sagt Schmidhauser. Im «Chlausen» hat er seine Leidenschaft entdeckt. Eine, die ihn die nächsten fünfzig Jahre begleiten wird. 1972 sind es schon drei Aufträge, im darauffolgenden Jahr fünf – der gutmütige Samichlaus hat sich herumgesprochen.

Manchmal habe ich bis nachts um zwei an meinem Chlausbuch gearbeitet.
— Hansruedi Schmidhauser, Samichlaus

«Wenn ich zu den Kindern gehe, lobe ich sie immer zuerst», sagt Schmidhauser. «So wissen sie, dass sie nichts zu befürchten haben.» Kritik gibt es vom Pfungemer Samichlaus zwar schon, doch auch hier fährt er die sanfte Tour: «Ich frage die Kinder, ob es noch etwas gibt, das sie besser machen können.» Meistens wüssten sie genau, worauf er hinauswolle. «Sie sagen das, was mir die Eltern vorab schriftlich mitgeteilt haben», sagt er. «Ich höre meinen Eltern manchmal nicht so gut zu, Samichlaus», beichten sie. Oder: «Ich muss mein Zimmer besser aufräumen, Samichlaus.»

Manchmal muss Schmidhauser aber auch den Eltern auf die Finger schauen. Zum Beispiel dann, wenn er merkt, dass sie den Kindern mit dem Samichlaus gedroht haben. «Ich rufe sie dann am nächsten Tag an und sage: So nicht.»

Bis zu dreissig Stunden Vorbereitung

Alles, was Schmidhauser über die Kinder wissen muss, notiert er sich fein säuberlich in seinem goldenen Buch. Carlo helfe fleissig im Garten mit, steht dort zum Beispiel. Die Seiten hat der Pfungemer mit Sternen und Glitzer verziert. «So ein spezielles Buch hat sonst kein Samichlaus.»

Früher, als Schmidhauser noch bis zu dreissig Familien im Jahr besuchte, verbrachte er rund dreissig Stunden damit, sein Buch zu gestalten und den Zeitplan zu erstellen. «Das ist eine Heidenarbeit.» Damals arbeitete er noch als Coiffeur und musste die Vorbereitung auf den Abend verlegen. «Manchmal habe ich bis nachts um zwei an meinem Buch gearbeitet.»

Zwischen einem Schmutzli und einem Samichlaus muss es funken.
— Hansruedi Schmidhauser, Samichlaus

Stolz blättert Schmidhauser durch sein «goldiges Buch». Zwischen den Seiten sind Kinderzeichnungen eingeklebt. Sie sind der Lohn seiner Arbeit. In den Jahren als Samichlaus habe er trotz all dem Aufwand nicht ein einziges Mal daran gedacht, aufzuhören. Zu schön seien die Chlauszeit und die Freude der Kinder, die er jedes Jahr erleben dürfe.

Vom Samichlaus zum Weihnachtsmann

Bevor Schmidhauser die Kinder besucht, schminkt sich der gelernte Coiffeurmeister und Maskenbildner das Gesicht und die Hände, montiert einen Bauch und klebt sich den Büffelhaarbart ins Gesicht. Rund eineinhalb Stunden dauert es, bis Hansruedi zum Samichlaus und sein Freund Heinz Kühne zum Schmutzli wird.

Den passenden Schmutzli zu finden, sei gar keine leichte Aufgabe: «Zwischen einem Schmutzli und einem Samichlaus muss es funken – das ist, wie wenn man mit jemandem in die Ferien reisen will.» Und wie sieht es mit dem Eseli aus? «Mein Auto ist mein Eseli», sagt Schmidhauser. Und auf das sei immer Verlass: «Ich habe in all den Jahren erst eine Geschwindigkeitsbusse erhalten.»

Um sich und den Schmutzli zu schminken, braucht Hansruedi Schmidhauser (links) rund eineinhalb Stunden. Foto: PD

Mittlerweile schlüpft Schmidhauser schon ein halbes Jahrhundert ins Samichlauskostüm. In dieser Zeit habe sich einiges geändert. So seien Adventskränze im Wohnzimmer längst nicht mehr selbstverständlich. Und während die Eltern früher noch die traditionellen Säckli mit Leckereien für die Kinder vorbereitet hätten, würden immer öfters auch Päckli im Milchkasten zur Verteilung bereitliegen.

«Die heutigen Eltern machen uns zum Christchindli oder zum Weihnachtsmann», sagt Schmidhauser. Dabei sei doch eigentlich klar: «Der Samichlaus bringt Nüsse und Mandarinli im Säckli.» Immer noch fast gleich wie vor fünfzig Jahren sind dagegen die Versli: «‹Sami Niggi Näggi› und ‹Samichlaus, du liebe Maa› sind auch heute noch die Dauerbrenner», sagt Schmidhauser. Es gebe aber auch tolle neue Versli.

Noch sind in Schmidhausers goldenem Buch einige Seiten leer. Diese wolle er noch füllen. «Die Kinder, die ich im letzten Jahr besucht habe, werde ich noch begleiten, bis sie nicht mehr an den Samichlaus glauben.» Bevor er das rote Gewand dann endgültig ablege, könne er sich auch vorstellen, ab und zu als Samichlaus die Kinder im Kinderspital zu besuchen.

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«Turnen gehörte sich damals für Mädchen nicht»