«Turnen gehörte sich damals für Mädchen nicht»
Turnerin aus Neftenbach Egal, was kommt – Verena Huber turnt. An der kantonalen Veteraninnentagung in Neftenbach ist die 76-Jährige nun als Ehrengast eingeladen.
Auf Krücken gestützt steht Verena Huber in ihrem Wohnzimmer. Ihr linker Fuss ist dick eingepackt und geschient. Vor einigen Wochen musste die 76-Jährige einen Hallux operieren lassen. Das Gehen fällt ihr seither schwer. Sie muss still sitzen – für Huber keine leichte Aufgabe. Denn die Neftenbacherin liebt es, sich zu bewegen. Ihre Leidenschaft gilt seit jeher dem Turnen.
Ihren ersten Purzelbaum macht Huber in Buch am Irchel auf dem Pausenplatz. Einen Turnverein für Mädchen gibt es dort nicht, doch die Buben aus der Jugendriege bringen ihr in der Pause «Trickli» bei. Mit sechzehn erfährt sie, dass es in Neftenbach eine Mädchenriege gibt. Sie ist begeistert, will endlich richtig lernen, wie man turnt. Doch aus dem Traum des Vereins wird vorerst nichts: Ihre Eltern verbieten es ihr. «Turnen gehörte sich damals für Mädchen nicht», sagt Huber.
Vom Mitglied zur Leiterin
Mit achtzehn nimmt sie das Ruder selbst in die Hand. Sie gründet in Buch am Irchel einen Turnverein, nachdem dort eine Turnhalle gebaut wurde. Doch bereits nach zwei Jahren löst sich dieser wieder auf, weil die Resonanz zu gering ist. Der Traum vom Turnen lässt Huber aber nicht mehr los. Nach der Heirat und der Geburt ihrer Tochter tritt sie der Damenriege Neftenbach bei und trainiert fortan wöchentlich. Geräteturnen und Korbball gehören zu ihren Lieblingsdisziplinen. «Der Verein hat mir sehr viel gegeben», sagt sie. «Er ist eine Lebensschule. Du lernst zu kämpfen, du lernst zu verlieren – eben alles, was zum Leben dazugehört.»
Das harte Training zahlt sich aus. Bereits nach zwei Jahren bei der Damenriege wird Huber angefragt, ob sie nicht die Mädchenriege leiten wolle. Sie nimmt an, besucht Leiterkurse und bildet sich weiter. «Ich hatte wenig Erfahrung und deshalb besonders viel reingesteckt.» Später gründet sie aus eigenem Antrieb eine Geräteriege.
Doch die neuen Aufgaben bedeuten für Huber auch jede Menge Arbeit. Sie leitet Trainingsstunden, führt in den Ferien Lager durch und choreografiert und organisiert Auftritte. «Meine Frau hat das halbe Leben für das Turnen gegeben», sagt Hubers Ehemann Max. «Gleichzeitig hat sie den Haushalt geschmissen und sich um die Kinder gekümmert. Dass sie das alles geschafft hat, hat mich immer sehr beeindruckt.»
Ein Schicksalsschlag
Mit ihren Teams bereist Huber die Schweiz und die Welt, um an Wettkämpfen teilzunehmen. «Ganz besonders stolz bin ich auf unsere Teilnahme an den Gymnaestradas – den Weltturnfesten – in Dänemark 1987 und in Holland 1991.» Auf ihren Reisen wird Huber von ihrer Familie begleitet. Sie alle brennen für das Turnen und nehmen ebenfalls an Aufführungen teil. Die jüngere Tochter Yvonne schafft es bis zum Schweizermeisterschaftstitel im Geräteturnen. «Ohne meine Familie hätte ich das alles nicht geschafft», sagt Huber. «Mein Mann hat mich stets unterstützt.»
Egal, was das Leben ihr zuspielt – Huber turnt. Auch als bei ihr vor zwölf Jahren Parkinson diagnostiziert wird, macht sie weiter. «Ich bin zwar nicht mehr so beweglich, aber das Turnen hält mich jung.» Gerade bei Parkinson sei es wichtig, sich regelmässig zu bewegen. «Weil ich immer geturnt habe, habe ich einen guten Verlauf.» Noch heute, wenn sie nicht gerade mit geschientem Fuss auf dem Sofa sitzt, geht Huber einmal pro Woche in die Frauenriege in Neftenbach.
Auch in ihrer Stube treibt sie täglich Sport zu Youtube-Videos. «Pilates, Aerobic, Kraftübungen – eben alles, was mir Spass macht.» Noch muss Huber allerdings still sitzen. «Nach Weihnachten kann ich hoffentlich wieder anfangen mit dem Turnen», sagt sie. «Ich kann es kaum erwarten.»