Sie spinnt Alpakawolle und strickt Bären
Vom Toggenburg nach Winterthur Als die Pandemie ausbricht, muss sich Hannedore Knöpfel isolieren. Sie nutzt die Zeit, um Bären zu stricken. Ihre Tochter verkauft diese in Winterthur.
In Nesslau, einem kleinen Dorf im Toggenburg, fernab vom Grossstadtgetümmel und Gedränge, lebt die 80-jährige Hannedore Knöpfel allein. Zumindest tat sie dies bis zum Beginn der Corona-Pandemie. Seither sind in ihr altes Bauernhaus kleine Bären eingezogen. «Sie sitzen bei mir auf dem Buffet und warten auf ihre Reise nach Winterthur», erzählt Knöpfel.
Damals, als die erste Corona-Welle im März 2020 über Europa rollte, musste sich Knöpfel nicht nur wegen ihres Alters isolieren. Die 80-Jährige leidet an chronischer Leukämie, muss regelmässig in die Immuntherapie und war damit besonders gefährdet, an einem schweren Verlauf zu erkranken.
Ein Mutter-Tochter-Projekt
«Das Nichtstun war noch nie meine Art», sagt Knöpfel. Deshalb habe sie die Zeit in Isolation genutzt, um zu stricken. Nicht einfach Pullover und Topflappen, sondern Bären.
Am Anfang seien die Bären noch nicht so schön geraten, aber mittlerweile habe sie den Dreh raus, erzählt Knöpfel. Die Bären sind immer etwa 30 Zentimeter gross. Die Farbe ihres Felles variiert dagegen – mal Beige, mal Braun, mal Schwarz. Denn Knöpfel spinnt auch das Wollgarn selber – aus Alpakawolle, die sie von einer Freundin bezieht. «Die Farbe meiner Bären hängt immer von der Farbe des Alpakas ab, das meine Freundin gerade schert.»
Als ihre Tochter Elisabeth Hartmann von den Bären erfuhr, kam sie auf die Idee, diese einzukleiden und dann über ihren Instagram-Kanal «bylizhartmann» und im Unikum, einem kleinen Laden in Veltheim, zum Verkauf anzubieten. «Ich nähe seit zwölf Jahren Kinderkleider für das Unikum und dachte mir, die Bären würden ins Sortiment passen.»
«In einem Leserbrief an die Zeitschrift ‹Landliebe› habe ich die Geschichte meiner Mutter und der Bären geschildert», erzählt Hartmann. Daraufhin seien etliche Bestellungen eingegangen.
«Meine Mutter hat schon immer kreativ gearbeitet», erzählt Hartmann. Ob Norwegerpullis oder Hochzeitskleider – ihre Mutter habe ihr ganzes Leben lang gelismet und genäht. «Sie hat sich immer irgendwie als Landfrau gesehen.»
Dabei ist Hannedore Knöpfel eigentlich ein Stadtkind. Sie wuchs in Winterthur auf und heiratete mit 22 Jahren ihren Mann. Mit ihm und ihren zwei Kindern zog sie einige Jahre später nach Dietikon. Dort besuchte sie Nähkurse und kümmerte sich um ihre Familie. «Ich hatte damals nicht die Möglichkeit, eine Lehre zu machen», erzählt Knöpfel. Das habe sie immer gestört. Doch: «Von zu Hause aus hat es geheissen, ein Meitli brauche so was nicht.»
Als die Tochter dreizehn Jahre alt war, kaufte die Familie das Haus in Nesslau. Ihr Vater sei Toggenburger gewesen und habe immer Heimweh gehabt. In Nesslau begann für Knöpfel ein neues Leben. «Als ich das erste Mal nach Nesslau gekommen bin, wusste ich sofort: Hier bin ich zu Hause», sagt die 80-Jährige.
Lehre mit 47 Jahren
Knöpfel begann, als Pflegeassistentin zu arbeiten. «Da hat es mir sofort den Ärmel reingenommen», erzählt sie. Irgendwann habe sie ihr Ehemann dazu ermuntert, doch noch eine Lehre zu machen. «Er sagte: Du verbringst sowieso so viel Zeit auf der Arbeit.»
Mit 47 Jahren startete sie daraufhin in Wattwil ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau. «Dort bin ich richtig aufgegangen. Ich habe alles aufgesaugt wie ein Schwamm», sagt Knöpfel. «Endlich konnte ich eine richtige Lehre machen.»
Fast zeitgleich mit ihrer Tochter, die in Winterthur die Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte, schloss Knöpfel ihre Lehre ab. Zu ihren Abschlüssen schenkte ihr Mann ihr und ihrer Tochter eine Medaille, die aus einem Goldvreneli gefertigt war. «Ich rechne meinem Vater hoch an, dass er meine Mutter ermutigt hat, denn er war Pfarrerssohn und stammte aus einer eher konservativen Familie», sagt Hartmann.
Ihre Ausbildung kam Knöpfel zugute, als ihr Mann vor fünf Jahren schwer erkrankte. Sie pflegte ihn zwei Jahre in ihrem Haus in Nesslau, bis er vor drei Jahren verstarb. «Er hat mir vor seinem Tod immer wieder gesagt, wie froh er sei, dass ich die Ausbildung noch gemacht habe.»
Mehrere Tage Handarbeit
Mittlerweile lebt Hannedore Knöpfel schon 43 Jahre in Nesslau. «Hier bin ich gut aufgehoben, und ich habe immer irgendetwas zu tun.» Sie sorgt sich um ihre 90-jährige Nachbarin, engagiert sich in der Kirche, kümmert sich um das Haus oder spinnt und strickt – jetzt gerade hauptsächlich Bären.
Um einen Bären zu stricken und zusammenzunähen, brauche sie rund eineinhalb Tage. Am meisten Zeit nehme das Spinnen in Anspruch. «Es dauert schon einmal drei bis vier Tage, bis ich die Wolle für ein paar Bären zusammenhabe.»
Schon über 60 Bären hat das Mutter-Tochter-Duo bereits verkauft. So richtig scheint Knöpfel den Run auf ihre Bären nicht verstehen zu können. «Irgendwie lösen die Bären einfach viel Freude aus», sagt die 80-Jährige. Das Schönste am Bärenprojekt sei die Zusammenarbeit mit ihrer Tochter. «Wir hatten es zwar schon immer gut, aber die Bären haben uns noch einmal nähergebracht.»