Fehlende Hausnummern und beissende Hunde nahm er gelassen

Pöstler aus Neftenbach 35 Jahre lang hat Markus Gähwiler in der Region Briefe und Pakete verteilt, 28 Jahre davon in Neftenbach. Nun geht er in Pension.

Nach 28 Jahren als Pöstler von Neftenbach freut sich Markus Gähwiler auf seine Pension. Foto: Roger Hofstetter

An der Luegislandstrasse in Hünikon bei Neftenbach steht Markus Gähwiler vor seinem gelben Lieferwagen. Es ist heiss, die Sonne brennt. Gähwiler zeigt in die Ferne, wo sich hinter den Schleierwolken die Umrisse eines Berges abzeichnen. «Das ist der Säntis», sagt er. «Bei guter Sicht sieht man von hier sogar die Berge am Bodensee.»

Der Hügel oberhalb von Neftenbach ist der Lieblingsplatz des 60-Jährigen. Sei das Wetter schön gewesen, habe er sich hier in der Natur oft neben seinen Lieferwagen gesetzt und zu Mittag gegessen. Gähwiler kennt jedes Haus und jede Strasse, die vor seinen Füssen liegt. Zwei Jahrzehnte lang war das sein Revier. In den Neftenbacher Dorfteilen Aesch, Riet und Hünikon hat er Briefe zugestellt und Pakete verteilt. Nun geht der Pöstler frühzeitig in Pension.

Vom Pöstlerberuf geträumt habe er nicht, sagt Gähwiler. «Ich habe ursprünglich mal eine Lehre zum Bäcker und Konditor absolviert.» Doch die unregelmässigen Arbeitszeiten seien ihm nicht gut bekommen. «Ausserdem war der Beruf mit einer Familie nur schwer vereinbar.» Da habe ihn sein Vater darauf aufmerksam gemacht, dass in Winterthur Postboten gesucht würden. Gähwiler bewarb sich, erhielt den Job und sprang fortan in der Region Winterthur immer dort ein, wo er gerade gebraucht wurde. 

«Ich merkte mir sämtliche Nachnamen»

So habe er zum Beispiel Ende der 1980er-Jahren den Zustellbeamten von Stammheim im Zürcher Weinland vertreten. «Ich kannte den Ort vorher nicht und musste auf der Karte schauen, wie ich überhaupt nach Stammheim komme.» Auch im Dorf selbst musste sich der damals 26-Jährige zuerst zurechtfinden. Hausnummern gab es zu dieser Zeit nämlich noch nicht. «Ich merkte mir sämtliche Nachnamen und die entsprechenden Häuser», erzählt Gähwiler.

Früher war Pöstler Markus Gähwiler zu Fuss unterwegs, heute fährt er einen Lieferwagen. Foto: Roger Hofstetter

Hatten im Dorf zwei Personen den gleichen Namen, prägte sich der Pöstler auch noch den Beruf oder eine genauere Ortsbezeichnung ein. Also zum Beispiel «Müller der Schreiner» oder «Meier oberhalb der Kirche». «Das war damals keine einfache Aufgabe», sagt Gähwiler. «Aber als junger Mensch habe ich die Herausforderung gesucht und lernte schnell.» Und passierte einmal ein Fehler, nahmen es sowohl die Stammheimer als auch Gähwiler gelassen. «Schon damals habe ich mir immer gesagt: nur die Ruhe bewahren.»

In die Ferne hat es mich nie gezogen.
— Markus Gähwiler

Im Alter von 32 Jahren übernahm Gähwiler die Briefzustellung in Neftenbach – damals noch zu Fuss mit Elektrohandwagen. Sieben Jahre später wurde ihm das Gebiet Hünikon, Aesch und Riet zugeteilt, wo Gähwiler nun seit 21 Jahren sechs Tage die Woche für jeweils fünf Stunden durch die Quartiere fährt. Die gleichen Strassen, die gleichen Häuser, die gleichen Gesichter – jahrein, jahraus. Für manch einen mag das nach Langeweile, nach quälender Routine klingen. Doch nicht für Gähwiler. «In die Ferne hat es mich nie gezogen», sagt er. «Ich spüre eine Verbundenheit mit diesem Ort. Und ich bin ein Mensch, der es schätzt, sich zu Hause zu fühlen.»

Zalando-Päckli gehören zum Alltag 

Und dennoch: Manchmal sei seine Arbeit als Pöstler hier auf dem Land auch schwierig gewesen. Zum Beispiel dann, wenn ihm der Regen mit voller Wucht ins Gesicht schlug, die Sonne brannte, ein Hund ihn am Knie packte oder die Winter besonders kalt waren. «Da kommt dir schon mal der Gedanke, den ‹Charre› einfach stehen zu lassen und abzuhauen.» Auch an gewisse Veränderungen innerhalb der Post habe er sich gewöhnen müssen, sagt Gähwiler. Zum Beispiel die Regelung, dass er auf der Tour keine offenen Schuhe mehr tragen darf. «Ich verstehe den Grund, aber ich kühle nun mal über die Füsse ab.» 

Ich bin nicht gerade der offenste Mensch, aber ich habe den Kontakt mit den Menschen immer geschätzt.
— Markus Gähwiler

Auch dass man als Pöstler so einiges mitkriegt, sei für ihn nicht nur einfach gewesen. «Wenn du einer Familie zum dritten Mal ein Leidtelegram zustellen musst, geht dir das nah.» Und doch hätten die positiven Seiten stets überwogen. «Ich bin nicht gerade der offenste Mensch, aber ich habe den Kontakt mit den Menschen immer geschätzt.» Ab und zu habe man ihn als Dank für seine Arbeit zum Kaffee eingeladen oder ihm eine Flasche Wein geschenkt. «Das hat mich immer erstaunt, denn eigentlich mache ich ja nur meinen Dienst.» 

Pakete zu überbringen, gehört mittlerweile zum Alltag von Pöstler Markus Gähwiler. Foto: Roger Hofstetter

Am liebsten habe er den Kundinnen und Kunden jeweils Pakete überbracht. «Früher war das noch eine seltene Angelegenheit, und man konnte die Leute überraschen.» Heute kämen ihm die Menschen hingegen meist bereits entgegen und sagten: «Gäll, du hast ein Zalando-Päckli für mich?» Freuen würden sie sich dann zwar immer noch, aber ganz das Gleiche sei es dann doch nicht.

Reise in den Norden

Dass die Leute mehr Päckli bestellten, habe man insbesondere in den letzten zwei Pandemiejahren extrem gemerkt. «Die Pakete sind heute teilweise auch sehr schwer.» Das zusätzliche Gewicht bekommt der 60-Jährige immer mal wieder zu spüren. «Ab und zu schmerzt der Rücken, oder das Knie tut mir weh.» Doch auch sonst mache sich das Alter langsam, aber sicher bemerkbar. «Ich bin nicht mehr so schnell unterwegs, und die Augen machen nicht mehr gleich mit wie früher.» Darum sei jetzt der richtige Zeitpunkt, in Pension zu gehen, findet Gähwiler.

Der Neftenbach-Pöstler ist ein Mann, der Ruhe schätzt – das merkt man sofort. Die «musikalische Berieselung» im Zustellzentrum in Wülflingen sei nichts für ihn, und auf seinen Touren nutze er die Stille gerne, um nachzudenken. Und auch jetzt mit seiner Pensionierung wolle er vor allem eines: zur Ruhe kommen. Lesen, kochen, wieder mehr backen – eben all jene Dinge tun, die er in seinen Berufsjahren vernachlässigt habe. Auch eine Reise schwebe ihm gemeinsam mit seiner Frau vor. «Am liebsten an einen geschichtsträchtigen Ort, wie zum Beispiel Dänemark oder Norwegen, wo einst die Wikinger lebten.» Den Rest wolle er auf sich zukommen lassen. Einzig eines wisse er mit Sicherheit: Einen Hund wolle er sich nicht zutun. 

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