Ein Krieg gegen Freunde
Stimme zum Ukraine-Krieg aus Neftenbach Als 16-Jähriger ist Yuriy Volk aus der Ukraine in die Schweiz gekommen. Nun bangt der Neftenbacher Balletttänzer um seine Familie und seine Heimat.
Yuriy Volk spricht schnell, seine Worte überschlagen sich. Mit 16 Jahren ist der Leiter des Kindertanztheaters in Neftenbach aus Dnipro in der Ukraine in die Schweiz gekommen. Die Familie des Balletttänzers befindet sich auch zum jetzigen Zeitpunkt noch in einer Stadt im Südosten des Landes, unweit der Gebiete, in denen der Krieg bereits wütet.
Er stehe mit seiner Familie in Kontakt, sagt Volk: «Zum Glück funktioniert das Internet und das Telefon noch.» Auch die Grundversorgung sei zum jetzigen Zeitpunkt noch sichergestellt. Für wie lange, das weiss niemand. Er habe seine Familie darum gebeten, doch wenigstens in den Westen des Landes zu fliehen – dort, wo es zumindest momentan noch sicherer sei.
Doch Volks Familie kann nicht fliehen. «Meine Grosseltern sind alle schon über 90 Jahre alt», sagt er. Seine Grossmutter habe eine gebrochene Hüfte und könne kaum noch gehen. Ausserdem fehle der Familie das Benzin, und das Gebiet sei weitläufig gesperrt.
«Der pure Irrsinn»
Seine Familie würde Dnipro aber auch gar nicht verlassen wollen, sagt Volk. «Dort ist ihr Zuhause.» So gehe es vielen Ukrainerinnen und Ukrainern. «Wir stehen ein für die Unabhängigkeit unseres Landes, und wir werden dafür kämpfen.»
Wenn Volk über seine Familie spricht, wird seine Stimme ruhig, fast schon nüchtern. So, als habe er sich mit seiner Hilflosigkeit abgefunden. Er erlebe gerade etliche Gefühle auf einmal, sagt der 36-Jährige. Angst, Stress und Ungläubigkeit. Ungläubigkeit über das, was gerade in seiner Heimat geschieht. Ungläubigkeit darüber, dass der russische Präsident tatsächlich wahrgemacht hat, was sich so viele nicht hatten ausmalen wollen. «Bis zum letzten Moment habe ich nicht glauben wollen, dass Putin tatsächlich so weit geht.» Was jetzt in der Ukraine passiere, sei der pure Irrsinn.
Russische Freunde
Dem russischen Präsidenten Vladimir Putin gehe es nicht um die Nato, glaubt Volk. Er wolle die ganze Ukraine erobern. «Sein Ziel ist es, die Sowjetunion oder das russische Zarenreich wieder zusammenzubringen.» Er hoffe auf die komplette Kapitulation der Ukraine und deren Integration in Russland.
Gegenüber seiner eigenen Bevölkerung spreche Putin von einem Krieg gegen den Nazismus in der Ukraine, einem Befreiungskrieg und einer Entmilitarisierung. Er inszeniere sich als Retter – ein propagandistisches Narrativ, das zu funktionieren scheint. «Ich habe viele Freunde, auch sehr enge, in Russland», sagt Volk. Sie würden an den Mythos der Entnazifizierung glauben. Daran, dass die russischen Truppen nicht die Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern die Amerikaner bekämpften.
«Dafür können sie nichts», sagt der 36-Jährige. Die Leute in Russland seien selber arm dran. Viele von ihnen seien einer Gehirnwäsche unterzogen worden. «Sie leben unter einem Diktator, der eine Zukunft eines in Einigkeit lebenden Brudervolkes verspricht.»
Wann immer er mit seinen russischen Freunden telefoniere, sage er: «Die Sirenen ertönen in der Ukraine, und die Bomben fallen auf ukrainische Städte.» Es seien ukrainische Soldaten, die ihr Leben liessen, und Ukrainerinnen und Ukrainer, die in den Metrostationen Schutz suchten. «Das ist kein Krieg gegen die Nato. Das ist ein Krieg gegen Freunde.»
Brüderliche Einigkeit, erzwungen durch eine Eroberung, sei eine Illusion – auch des russischen Präsidenten. «Was will er mit 40 Millionen Feinden in seinem Land?»
«Die Menschen brauchen Waffen»
Volk wünscht sich, dass der Westen die Ukraine im Kampf gegen Russland unterstützt. Mit Sanktionen, mit politischen Statements, mit Solidaritätsbekundungen, aber vor allem auch mit Waffen. «Mir ist klar, dass die westlichen Länder nicht mit Truppen einmarschieren wollen», sagt er. Sonst breche der Dritte Weltkrieg aus. Aber er findet: «Die Ukraine kämpft gegen eine der stärksten Armeen der Welt. Die Menschen sind bereit, ihr Land zu verteidigen, aber sie brauchen Waffen, um dies zu tun.»
Was dem 36-Jährigen bleibt, ist die Hoffnung. Die Hoffnung, dass der Krieg bald ein Ende findet. Dass die Menschen nicht noch mehr leiden müssen. Und dass seine schlimmsten Befürchtungen dank diplomatischer Gespräche doch nicht eintreffen werden. Wirklich daran glauben kann Volk aber nicht. Er denke nicht, dass Putin zu Gesprächen noch bereit sei.