Vom Schlachtfeld auf den Fussballplatz
Auf der Flucht vor den Nazis suchten internierte Soldaten im Zweiten Weltkrieg in Wald im Zürcher Oberland Unterschlupf. Zeitzeugen und Archivdokumente geben Einblick in diese besondere Episode der Waldner Geschichte.
Auf der Flucht vor den Nazis überquerten am 20. Jun 1940 über 40'000 polnische und französische Soldaten die jurassische Grenze. Von dem Zweiten Weltkrieg gezeichnet, suchten sie Schutz in der neutralen Schweiz. Diese nahm die Notleidenden gestützt auf das Haager Abkommen (siehe Box) auf. Sie entwaffnete die Soldaten und verteilte sie auf verschiedene Gemeinden in allen Landesteilen.
Auch in Wald im Zürcher Oberland fanden französische und polnische, später auch englische und australische Soldaten Unterschlupf. Und während sich Hitlers Einfluss in ihren Heimatländern immer weiter ausdehnte, harrten die Internierten in der Gemeinde im oberen Jonatal aus - manche nur einige Monate, andere mehrere Jahre.
Mit ihrer Ankunft in Wald veränderte sich das Leben der Soldaten radikal: Statt Krieg und Tod standen Besuche in der Walder Kirche, gelegentliche Arbeiten und Sportanlässe an der Tagesordnung.
Löchrige Socken und blutende Füsse
Unter der einheimischen Bevölkerung brach mit dem Eintreffen der ausländischen Soldaten eine Welle der Solidarität aus. Sofort organisierte das ganze Dorf die Versorgung der «bemitleidenswerten» Männer, und dies obwohl für das Zusammenleben der Internierten und der einheimischen Bevölkerung strikte Regeln galten (siehe unten). Die Frauen des Frauenvereins Wald kümmerten sich um die schmutzigen und zerrissenen Kleider. Im Café Bachtel wuschen sie Hosen und Hemden, stopften Socken und flickten Berets von über 600 Soldaten.
Auch die Ärztinnen und Ärzte des Spitals Wald hatten mit den Internierten alle Hände voll zu tun. Eitrige Wunden, entzündete Blinddärme und blutende Füsse wollten behandelt werden. Der Arzt Dr. Ernst Meier dokumentierte die medizinische Versorgung im Detail und musste feststellen: Nicht alle Knochenbrüche waren auf Kriegsverletzungen zurückzuführen. Bei den Aufzeichnungen handelt es sich um nachgesprochene, schriftliche Archivdokumente des Lagerarztes Ernst Meier.
Während sich die Internierten im Winter ihre Zeit auf Skiern vertrieben, sorgte im Sommer der Fussballclub Wald für sportliche Unterhaltung. Der Verein organisierte regelmässig Wohltätigkeitsspiele auf dem Sportplatz Hinternord.
Ausserdem sammelte der Sportclub mittels eines Inserats im «Volksblatt vom Bachtel» Badehosen für die Internierten. So sollte ihnen die «Wohltat erfrischender Bäder» ermöglicht werden, wie es im Aufruf heisst. Die Gratis-Badehosen konnten täglich bei der Walder Bademeisterin abgegeben werden.
Willkommene Arbeitskräfte
Als Dank für die grosszügige Unterstützung der einheimischen Bevölkerung, packten die Internierten im Dorf mit an, wo sie nur konnten. Sie legten Wege an (die sogenannten Polenwege), arbeiteten in den Textilfabriken, putzten die Fenster des Spitals und rupften Unkraut aus den Feldern der Walder Bauern.
Da sich viele der Waldner Männer zu dieser Zeit im Aktivdienst befanden, wo sie die Schweizer Grenze vor dem Einmarsch der deutschen Truppen bewahren sollten, waren die ausländischen Arbeitskräfte im Dorf überaus willkommen.
Noch heute erinnern sich Einige im Dorf an die hilfsbereiten Soldaten von damals. Einer davon ist Waldner Franz Blöchlinger:
Auf dem Land des heute 85-Jährigen im Walder Huebtobel haben die Internierten nicht nur einem Baum gefällt, sondern auch ein Röhrensystem verlegt. So konnte das Wasser des Huebtobelbachs zur talwärts gelegenen Textilfabrik umgeleitet werden. Noch heute erinnert dort eine Steintafel an das Wirken der französischen Soldaten:
Der «Orange Befehl»
So solidarisch die Stimmung im Dorf war - für das Zusammenleben zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Internierten galten strikte Regeln. Der sogenannte «Orange Befehl» des Eidgenössischen Kommissär für Internierung und Hospitalisierung untersagte es den Einheimischen zum Beispiel, den Soldaten Geld, Kleider oder Lebensmittel zu schenken.
Ausserdem durften Einheimische die Internierten nur besuchen, wenn sie zuvor beim Eidgenössischen Kommissär die Erlaubnis eingeholt hatten.
Auch die Internierten benötigten eine Bewilligung, wenn sie die Waldnerinnen und Waldner in ihren Privatwohnungen besuchen oder in Restaurants, Kinos oder ins Theater gehen wollten. Sogar Fahrradfahren war für die Internierten nur mit ausdrücklicher Erlaubnis möglich.
Strikt untersagt war jegliche romantische Kontakt zu Frauen. Im «Orangen Befehl» hiess es dazu: «Den Internierten ist die Eingehung einer Ehe nicht gestattet. Es sind daher auch alle auf eine solche hinzielenden Beziehungen mit Internierten untersagt.»
Verbotene Liebe
Soweit das Gesetz. Die Realität in Wald war allerdings eine andere: Romantische Beziehungen zwischen Waldner Frauen und internierten Soldaten waren keine Seltenheit. Es kam sogar immer wieder zu Familiengründungen.
Ein Beispiel ist die Geschichte des Polen Stanislaus Nosiadek. Während seiner Zeit in Wald lernte der gelernte Bäcker seine spätere Ehefrau Margrith Schmid kennen. Nach Ende des Kriegs kehrte er gemeinsam mit ihr nach Polen zurück.
1958 kam das Paar gemeinsam mit den beiden Söhnen Fredi und Erich wieder nach Wald, wo Nosiadek bis Ende der achtziger Jahre die Bäckerei im «Zipfel» betrieb.
Doch nicht alle Beziehungen endeten so glücklich, wie jene von Stanislaus und Margrith. Viele Internierte liessen ihre Waldner Freundinnen in der Schweiz zurück, als sie wieder in ihre Heimatländer zurückkehren konnten.
Wie sich Franz Blöchlinger erinnert, war der Abschied für eine Gruppe von Frauen ganz besonders bitter:
In Guter Erinnerung
Mit dem Ende des Weltkriegs im Mai 1945 verliessen auch die letzten Internierten Wald. Die Zeit, die sie im Dorf verbracht hatten, blieb vielen von ihnen in guter Erinnerung. Davon zeugen die Briefe und Danksagungen, welche die Gemeinde in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten erreichten.
Noch heute, über 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, zeugen Orte wie der Polenweg auf der Scheidegg, das Fabrikgebäude im Spittel oder die Gedenktafel im Huebtobel von der Geschichte.
Die Internierten waren in einem leerstehenden Fabrikgebäude im Spittel untergebracht. Ihre Nächte verbrachten sie auf aus Stroh gefertigten Matratzen. Das Gebäude steht noch heute und erinnert an seine einstigen Bewohner.
Eine Geschichte, die sich auf diesem Spaziergang durch Wald noch weiter erkunden lässt.