Immer mehr Menschen wollen nach dem Tod nicht allein liegen
Trend zum Gemeinschaftsgrab Das klassische Bestattungsritual mit Sarg und persönlichem Grabstein ist schon längst nicht mehr die Norm. In Seuzach wird deshalb das Gemeinschaftsgrab erweitert.
Auf der Grabwand des Gemeinschaftsgrabs auf dem Friedhof Seuzach wird es eng. Namen reiht sich hier an Namen. Denn die letzte Reise führt immer mehr Leute ins Gemeinschaftsgrab statt in den Sarg. Um diesem Bedürfnis gerecht zu werden, soll das Gemeinschaftsgrab auf dem Seuzacher Friedhof noch in diesem Herbst erweitert werden.
Den Trend zum Gemeinschaftsgrab bemerkt man in Seuzach bereits seit längerem. «Es ist die Bestattungsart, die am meisten gewünscht wird», sagt Sarina Wenk, Geschäftsbereichsleiterin des Ressorts Gesellschaft und Sicherheit der Gemeinde Seuzach. An zweiter Stelle stehe die Urnenbeisetzung in ein bestehendes Grab. In diesem Fall wird beispielsweise eine Ehefrau im Grab ihres Ehemannes bestattet. Urneneinzelgräber seien dagegen schon seltener. «Und Erdbestattungen haben wir fast gar keine mehr.» Im Schnitt würden sich pro Jahr in Seuzach nur noch rund zwei bis drei Personen für diese Variante entscheiden.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Gemeinde Neftenbach. In den Sarg will praktisch niemand mehr. «Wir haben pro Jahr im Schnitt noch ein bis zwei Erdbestattungen», sagt Ursula Jacobs, Leiterin der Einwohnerkontrolle. Der klare Favorit sei auch in Neftenbach das Gemeinschaftsgrab. Auch die Gemeinden Wiesendangen, Illnau-Effretikon und Zell bestätigen: Der Anteil an Gemeinschaftsgräbern hat in den letzten Jahren zugenommen.
Auf dem Friedhof Rosenberg in der Stadt Winterthur gibt es bereits seit rund 50 Jahren ein Gemeinschaftsgrab. Und was sich ausserhalb der Stadt abzeichnet, wird auch hier auf dem Winterthurer Zentralfriedhof deutlich: «Das Gemeinschaftsgrab ist die beliebteste Bestattungsart», sagt Annette Hirschberg, Kommunikationsbeauftragte der Stadt Winterthur, auf Anfrage. Klar ist auch: Erdbestattungen sind eher die Ausnahme. «Gut 80 Prozent lassen sich nach dem Tod kremieren.» Dabei ist nicht immer der Friedhof der Ort der letzten Ruhestätte. In rund 20 bis 25 Prozent der Fälle werde die Urne mit nach Hause genommen.
Gott, Geld und Gemeinschaft
Doch weshalb verzichten immer mehr Leute auf das persönliche Grab? Finanzielle Gründe dürften eine Rolle spielen. Einen Grabstein braucht es beim Gemeinschaftsgrab nämlich nicht. Im Schnitt fallen so bereits mehrere Tausend Franken an Kosten weg. Und anders als bei Einzelgräbern muss man sich bei Gemeinschaftsgräbern auch nicht um den Unterhalt kümmern. Auch dieser kann teuer werden: In Seuzach liegt der Preis für den Grabunterhalt auf 20 Jahre gerechnet bei 5000 bis 6300 Franken.
Doch nicht nur das Portemonnaie fällt bei der Wahl der Bestattungsart ins Gewicht: «Oftmals wollen die Verstorbenen ihren Nachkommen nicht noch zur Last fallen», sagt Wenk. Denn der Unterhalt eines Einzelgrabes sei mit viel Arbeit verbunden. Vielleicht gehe es aber einigen auch schlicht um ein Gefühl von Gemeinschaft. «Um den Gedanken, in der letzten Ruhestätte nicht allein zu sein.»
Ruhefrist soll gleich bleiben
In einer zweiten Etappe des Ausbaus sollen auf dem Friedhof Seuzach auch Baumgräber entstehen. Eine Form des Gemeinschaftsgrabs, die es hier noch nicht gibt. «Von anderen Friedhöfen wissen wir, dass diese Bestattungsform auf grossen Anklang stösst», sagt Wenk. «Viele Menschen schätzen den Gedanken, nach dem Tod mit der Natur verbunden zu sein.»
Platz für weitere Gräber gibt es auf der Friedhofsfläche in Seuzach noch genug. Sollte sich das ändern, könnte eine Verkürzung der Ruhefrist zum Thema werden. Die Ruhefrist legt fest, nach wie vielen Jahren ein Grab wieder ausgehoben werden kann. Im Kanton Zürich ist dies grundsätzlich nach 20 Jahren möglich. Seuzach geht noch weiter: «Bei uns beträgt die Ruhefrist 25 Jahre, und das soll eigentlich auch so bleiben», sagt Wenk. «Denn wenn es um das Thema Tod geht, sind 20 Jahre keine lange Zeit.»
Interview zum Hintergrund
«Die Menschen trauern individueller»
Nachgefragt bei Delaja Mösinger Gemeinschaftsgräber liegen im Trend. Das hat auch damit zu tun, dass wir als Gesellschaft anders mit dem Tod umgehen, sagt Pfarrerin und Seelsorgerin Delaja Mösinger.
Frau Mösinger, immer mehr Leute verzichten heute auf ein persönliches Grab und lassen sich stattdessen in einem Gemeinschaftsgrab beisetzen. Hat das Trauern am Grab einer geliebten Person einen anderen Stellenwert als früher?
Die Zahlen sprechen für sich. Traditionelle Formen der Trauer, wie zum Beispiel das Tragen von schwarzer Kleidung oder der Besuch auf dem Friedhof, sind heute weniger wichtig. Die Menschen trauern individueller. Ich kann mir auch vorstellen, dass zum Beispiel die Debatte um Nachhaltigkeit die Grabwahl beeinflusst. Die Menschen haben wieder vermehrt das Bedürfnis, mit der Natur verbunden zu sein – auch nach dem Tod. Ein Baumgrab bietet sich da an.
Inwiefern spielen Religion und Religiosität in diesem Zusammenhang eine Rolle?
Religion ist an Traditionen geknüpft. Diese bieten eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Formen im Umgang mit dem Tod. Religion und damit auch die gesellschaftliche Einigung auf einen gemeinsamen Umgang habt heutzutage sicher weniger Gewicht.
Bereitet Ihnen diese Tendenz Sorgen?
Nein, ich sehe das nicht so pessimistisch. In Trauerfeiern steht die verstorbene Person, wer sie war und was sie ausgemacht hat, mehr im Vordergrund als früher. Ich schätze die individuelle und sehr persönliche Weise, in der Angehörige trauern und mit dem Tod umgehen. In unserer Gesellschaft wird der Tod durch diese Individualisierung allerdings weniger sichtbar.
Was bedeutet das für unsere Gesellschaft?
Man muss sich zum Beispiel die Frage stellen, wo Kinder und Jugendliche noch mit dem Tod konfrontiert werden. Oftmals geschieht dies erst durch einen persönlichen Schicksalsschlag. Dadurch fehlt ihnen vielleicht das Bewusstsein, dass der Tod ganz normal ist und zum Leben dazugehört. Unsere Aufgabe als Kirche ist es, dieses Bewusstsein zu bewahren. Friedhöfe spielen diesbezüglich sicher auch eine Rolle. Sie sind ein Ort, an dem man sich direkt mit dem Tod auseinandersetzen kann. Sie bilden für Trauernde eine Heimat, die Trost bietet.