Gossauer fordert drei Jahre Gefängnis für Bundesräte
Gossau Verschwörungstheorien sind mit der Corona-Pandemie in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch aus dem Oberland sind teilweise abstruse Forderungen und Thesen zu hören.
Christian Frei hat Erfahrung darin, sich mit Behörden anzulegen. Über mehrere Jahre hinweg kämpfte er dafür, dass in Gossau die Kirchenglocken nachts nicht läuten. Seine Klage zog er bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – wo er scheiterte.
Nun hat es der «Tibits»-Mitgründer auf den Bundesrat abgesehen. Wie die «Republik» berichtete, forderte er den stellvertretenden Armeechef Aldo C. Schellenberg Ende Dezember in einem Brief dazu auf, die Bundesräte «unverzüglich zu verhaften» und für drei Jahre in ein Schweizer Gefängnis zu sperren.
Als Begründung für seine Forderung gibt Frei an, der Bundesrat habe sich «Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Sklaverei und der Plünderung von Eigentum und Reichtum» schuldig gemacht. Die Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verletzten die menschlichen Freiheiten und zwängen Staaten ein «totalitäres System» auf, schreibt er weiter.
Doch damit nicht genug: Die Schweizer Regierung sei zudem am «US-amerikanischen Wahlbetrug» direkt beteiligt gewesen. Sie werde sich deshalb wegen Landesverrat vor einem amerikanischen Kriegsgericht verantworten müssen. Eine Kopie des Briefs schickte Frei an die russische und die amerikanische Botschaft.
Bundesräten gekündigt
Auch im Postfach der damaligen Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga landete ein eingeschriebener Brief von Christian Frei. Darin schreibt der Gossauer: «Aufgrund der aktuellen Ereignisse bin ich gezwungen, ihr aktuelles Anstellungsverhältnis zu beenden.» Sommaruga und ihr kompletter Stab hätten die Büros «umgehend zu räumen». Am Ende des Briefs wünscht Frei Sommaruga «eine Transformation von der satanischen Besetzung ins Licht und Göttliche». Was genau er damit meint, führt er im Schreiben nicht weiter aus.
In einem dritten Brief wandte sich Frei an Bundesrat Ueli Maurer. Frei offeriert dem Bundesrat darin seine Hilfe und sein Wissen, um «eine Zukunft im Sinne der Menschen zu planen». Auch dem Finanzminister kündigt Frei, allerdings erst per Ende Januar 2021. So habe Maurer Zeit, «die Finanzen in Ordnung zu bringen».
Mit vernünftigem Hinterfragen der Dinge hätten Freis Aussagen nichts mehr zu tun, erklärt der auf Verschwörungstheorien spezialisierte Kommunikations- und Politikwissenschaftler Marko Kovic. «Freis Behauptungen und Forderungen sind weit weg von gesunder Kritik. Wenn er etwa von ‹satanischer Besetzung› schwurbelt, ist offensichtlich jeder Bezug zur Realität weg.»
Einer bestimmten Verschwörungstheorie lassen sich Freis Aussagen laut Kovic nicht zuordnen: «Alles in allem wirkt das für mich nach einer Art Verschwörungsgulasch: ein bunter, inkohärenter Mix an Verschwörungszutaten. Hauptsache, es fügt sich in ein übergeordnetes Bild einer diffusen, grossen ‹Verschwörung› ein.»
Treffen im «Tibits»
Freis Aktivitäten endeten nicht mit dem Verfassen der drei Briefe. Am 5. Januar wurden seine Schreiben zusammen mit einer Einladung zu einem Treffen im «Tibits» in Oerlikon in der Telegram-Gruppe Die neue Freiheits-Demonstranten-Partei geteilt. «Gerne lade ich euch zu einem Austausch ein, um mögliche Lösungen vorzustellen, wie wir aus dem Corona-Albtraum wieder rauskommen», heisst es im Chat.
Laut dem Online-Magazin «Republik» haben insgesamt 29 Personen am Treffen teilgenommen. Frei habe im Rahmen des Treffens fast drei Stunden gesprochen und unter anderem gesagt, die Pandemie sei eine Erfindung. Er selbst habe die Situation in den Spitälern in Uster und in Wetzikon überprüft und festgestellt, dass keine Sirenen von Krankenwagen zu hören gewesen seien.
Stadthaus als «Firma»
In der Einladung zum Treffen im «Tibits» ruft Frei die potenziellen Teilnehmer dazu auf, sich in Vorbereitung auf das Treffen auf verschiedenen Websites zu informieren. Darunter befindet sich ein Link zu einer Website, die das Stadthaus Wetzikon als «Firma» bezeichnet. «Kassiert eine Firma ihre Steuern?», heisst es auf der Startseite.
Als Beweis für diese Behauptung wird unter anderem aufgeführt, dass sich die Stadt Wetzikon auf der offiziellen Website als «kundennaher Betrieb» versteht. Wer die Website betreibt, ist nicht ersichtlich.
Die Bezeichnung «Firma» für eine Stadtverwaltung erinnert laut Verschwörungsexperte Kovic an den Ausdruck «Deutschland GmbH» der deutschen Reichsbürgerbewegung. Reichsbürger bestreiten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und weigern sich, Steuern und Bussgelder zu bezahlen oder Gerichtsbeschlüsse und Verwaltungsentscheide zu befolgen.
Unter Freis Liste mit Links findet sich auch ein über 500-seitiges Manifest des Wetzikers A. B. (Name der Redaktion bekannt). Auch in Christian Freis Brief an Bundesrätin Sommaruga stösst man im Anhang auf ein Schreiben von A. B.
A. B. kündigt darin verschiedene «Bedingungen» an, die er unter Anwendung des «Piratenrechts» oder des «Rechts des Stärkeren» geltend machen werde. Würden die Covid-19-Massnahmen nicht bis zum 31. Oktober 2020 zurückgezogen, werde ab dem 1. November eine Gebühr der Regierung an ihn fällig, heisst es auf Seite 6 des Briefs. «Sie beträgt fünf Kilogramm Gold pro Kalendertag.»
Antisemitische Literatur
Ebenso wie Frei bedient sich auch A. B. in seinem Brief bekannter verschwörungstheoretischer Erzählungen. So schreibt er, die Covid-19-Pandemie sei wie auch die beiden Weltkriege von den «Herrschern von Babylon» geplant und «in die Wege geleitet worden». Noch deutlicher offenbart sich die Gedankenwelt von B. bei einem Blick auf seine Website. Dort bietet der Wetziker etliche freimaurer- und jesuitenfeindliche Texte sowie einschlägige Literatur antisemitischer und rechtsextremer Autoren zum Download an.
Neben Veröffentlichungen des Holocaustleugners Douglas Reed enthält die Literaturliste von B. auch «Die echten Protokolle der Weisen von Zion», die durch den deutschen Nazi und Antisemiten Ulrich Fleischhauer verfasst worden sind. Darin ist von einer jüdischen Weltverschwörung die Rede. «Anhand dieser Protokolle kann man genau verfolgen, was alles schon geschehen ist und was gegenwärtig abläuft», schreibt B. in einem seiner Manifeste. Menschen, die auf die antisemitische, rassistische Qualität der Protokolle hinweisen, beschreibt B. als «Gutmenschen», «Verbrecher» und «babylonische Lakaien».
«In der Literaturliste von A. B. ist sehr viel Antisemitisches zu finden», erklärt Marko Kovic. «Darüber hinaus und allgemeiner glaubt Herr B. offenbar, dass die gesamte Weltgeschichte erlogen ist und er nun die Wahrheit aufzeigt.»
Ob sich A. B. und Christian Frei persönlich kennen, ist nicht klar. Weder Christian Frei noch A. B. wollten gegenüber dieser Zeitung Stellung beziehen.
Eine gefährliche Mischung
Aussagen wie jene von B. und Frei mögen lächerlich erscheinen. Doch Kovic sagt: «Solche Erzählungen sind gefährlicher, als man gemeinhin denkt. Sie können klein anfangen und plötzlich zum Massenphänomen werden. Verschwörungstheorien haben nicht zuletzt den Überfall auf das US-Kapitol am 6. Januar zu einem grossen Teil mitverursacht.»
Aus diesem Grund sei es wichtig, früh zu reagieren, wenn man bemerke, dass jemand im eigenen Umfeld an Verschwörungstheorien glaube, erklärt Kovic. «Die Forschung zeigt, dass man Verschwörungstheoretiker und Verschwörungstheoretikerinnen erreichen kann, wenn man ihnen offen und empathisch begegnet.» Über einen Austausch auf Augenhöhe sei es möglich, sich produktiv über Fakten und über die Logik bestimmter Argumente auszutauschen.
Wichtig sei ausserdem, den Unterschied zwischen kritischem Denken und Verschwörungstheorien zu erkennen. «Kritisch zu sein, bedeutet für mich, alles zu hinterfragen – auch sich selber», erläutert Kovic. Wer kritisch denke, bilde sich seine Meinung anhand der besten Argumente und sei offen für verschiedene Ergebnisse. «Beim verschwörungstheoretischen Denken ist es umgekehrt: Dort wird schon von Anfang an fixiert, woran man glaubt. Dann sucht man sich Dinge zusammen, die diese Überzeugung vermeintlich stützen.»
«Tibits» distanziert sich
Inzwischen haben sich die beiden Brüder von Christian Frei und Mitgründer des «Tibits» über die sozialen Medien von den Aussagen ihres Bruders distanziert. «Sie decken sich in keinster Weise mit unserer persönlichen Meinung. Und sie widersprechen den Werten von ‹Tibits› grundlegend», schreiben sie in einem Facebook-Post vom 22. Januar. Wie für viele Menschen sei für ihren Bruder die momentane Situation «mental und psychisch» eine grosse Herausforderung. Christian Frei sei nicht mehr für den Familienbetrieb tätig.