Der letzte Bolzenschuss in Gundetswil
Schlachten in der Region Winterthur In den letzten Jahrzehnten mussten im Kanton Zürich etliche kleine Schlachthäuser schliessen. Zuletzt auch in Gundetswil. Das sind die Gründe.
Ist es der Geruch von warmem Blut, der das Lamm zögern lässt? Oder der unbekannte Ort, die Menschen, die es nicht kennt? Nur widerwillig geht es seine letzten Schritte. Direkt hinter dem Volg in Gundetswil bei Wiesendangen endet an diesem Dezembermorgen sein kurzes Leben.
Das Lamm ist eines der letzten Tiere, die in Gundetswil geschlachtet worden sind. Per Ende Jahr musste das kleine Schlachthaus den Betrieb einstellen, weil der Baurechtsvertrag auslief und der Eigentümer den Raum nun selbst benötigt.
So wie dem «Schlachthüsli» in Gundetswil erging es in den letzten Jahren vielen Schlachthäusern. 2007 gab es im Kanton Zürich neben den beiden Grossschlachtbetrieben in Hinwil und Zürich noch 70 kleinere Schlachtbetriebe, 2021 waren es nur noch 32.
Im weiss getäfelten Raum in Gundetswil wartet Metzger Roman Böni bereits auf das Lamm. Böni trägt eine rote Schürze, die bis zu den Füssen reicht, Gummistiefel und eine Schellenursli-Zipfelmütze; er ist gross, kräftig, hemdsärmelig.
Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Davide Solla nimmt er das Lamm in Empfang. Dann geht es schnell. Solla dreht das Tier auf den Rücken, Böni hält ihm ein metallenes Bolzenschussgerät an den Kopf, das aussieht wie eine Velopumpe. Augenblicke später zerreisst ein lauter Knall den Raum. Der Bolzen dringt in den Kopf. Das Lamm sackt zusammen. Der Schuss hat das Tier betäubt.
Dass das Lamm noch zucke, liege an den Nerven, die noch aktiv seien, erklärt Böni, während er es an den Beinen an einen Haken hängt. «Es kann noch eine Weile dauern, bis das aufhört.» Böni sticht dem Lamm ein Messer in die Kehle, das Blut fliesst – etwa drei Minuten lang, dann ist das Tier tot. Von all dem bekomme das Lamm nichts mehr mit, sagt der Metzger.
Dass das kleine Schlachthaus schliesst, bedauert Böni. Überraschend sei es für ihn jedoch nicht. Es sei nichts Neues, dass kleine Betriebe eingingen.
Strenge Auflagen, geringe finanzielle Mittel
Das hat verschiedene Gründe: Die behördlichen Auflagen sind für Kleinstbetriebe oft nur schwer zu erfüllen. Die Betriebskosten sind im Vergleich zu der Anzahl Schlachtungen schlicht zu hoch. Ausserdem fehlt der Fleischbranche seit Jahren das Personal.
Finanziell gesehen stand es um das Schlachthaus in Gundetswil laut Simon Herzog, Präsident des Schlachthüsli-Vereins, grundsätzlich nicht schlecht. Und doch merkte man den Druck, der auf Kleinschlachtbetrieben lastet: Denn das Schlachthüsli an einem anderen Standort neu aufzubauen, wäre für den Verein ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.
«Heute müssten wir uns in der Industriezone einquartieren. Das kann man bei einer so geringen Anzahl an Schlachtungen schlicht nicht finanzieren.» Pro Jahr wurden in Gundetswil etwa 300 bis 400 Tiere geschlachtet. Zum Vergleich: Im Grossschlachtbetrieb in der Stadt Zürich sind es bis zu 2000 Tiere pro Tag.
Noch bis in die 1990er-Jahre wurden die kleinen Schlachtanlagen in den Gemeinden vom Kanton subventioniert und mussten weniger strenge bauliche Anforderungen erfüllen als grössere Betriebe. Dies, weil die Zürcher Gemeinden dazu verpflichtet waren, ein Notschlachtlokal zu betreiben, um verletzte oder kranke Tiere möglichst schnell und nah schlachten zu können. Auch in Gundetswil waren rund die Hälfte der durchgeführten Schlachtungen bis zur Schliessung sogenannte Notschlachtungen.
1992 folgte eine Revision des Lebensmittelrechts. Und mit ihr die Schliessung vieler Kleinbetriebe, die die nötigen Anpassungen nicht vornehmen konnten. Nur sieben Jahre später wurden auch noch die bisher obligatorischen Viehversicherungen abgeschafft. Diese waren dafür verantwortlich, Krankschlachtungen zu organisieren.
Zwar bildeten sich aus den Vermögensbeständen der Viehversicherungen verschiedene Schlachthüsli-Vereine, die die Kleinschlachtbetriebe weiterführten, doch im Verlauf der letzten 20 Jahre stellten viele den Betrieb ein.
Wo man den Metzger noch kennt
Mit einem Schlauch wäscht Böni das dampfende Blut zur Seite. Dann beginnt er, dem Lamm den Kopf abzutrennen und die Haut abzuziehen. Dafür muss sich der Metzger mit seinem ganzen Körpergewicht ins Fell hängen. Böni arbeitet ruhig, konzentriert. Der 37-Jährige wirkt routiniert. Seit sieben Jahren hat er in Gundetswil einmal pro Woche Schafe, Rinder und Schweine geschlachtet.
Auch bei den Juckers hat Schlachten Tradition. In der vierten Generation betreibt die Familie eine Metzgerei und eine Schlachtanlage mitten im Kollbrunner Dorfkern, rund 14 Kilometer von Gundetswil entfernt. Juckers Schlachthüsli ist einer der letzten verbliebenen Kleinschlachtbetriebe in und um Winterthur.
Für Landwirte habe die Zusammenarbeit mit einem Kleinschlachtbetrieb viele Vorteile, sagt Metzger Mirco Jucker, der im Familienbetrieb für den Verkauf und die Administration zuständig ist. Die Transportwege seien kürzer und somit besser für das Tierwohl. Ausserdem kenne man den Metzger persönlich.
Bauern und Bäuerinnen, die ihre Tiere bei den Juckers schlachten lassen und das Fleisch direkt über den eigenen Hof verkaufen, haben zudem mehr Möglichkeiten, mitzubestimmen. Diese sogenannten Direktvermarkter können zum Beispiel wünschen, ob aus ihren Tieren Würste oder Fleischkäse gemacht werden soll oder wie das Fleisch zugeschnitten wird.
Beschwerden wegen Lärm
Obwohl der finanzielle Aufwand vergleichsweise gross sei, wolle man das Schlachthüsli so lange betreiben, wie es nur ginge, sagt Jucker. Klar sei aber auch: Ist das Schlachthüsli irgendwann sanierungsbedürftig oder würden die gesetzlichen Auflagen noch strenger, müsse man sich überlegen, ob eine Finanzierung möglich sei. Und auch für die Juckers ist es keine Option, den Betrieb an einem neuen Standort aufzubauen: «Ein Schlachthüsli baut heute niemand mehr.»
Juckers Schlachthüsli liegt gleich hinter den Bahngleisen, umgeben von Wohnhäusern. Bis zur Metzgerei an der Dorfstrasse sind es nur wenige Hundert Meter. Bei den Kundinnen und Kunden komme dies gut an, sagt Jucker. «Der Trend zu einem bewussteren Leben kommt auch uns zugute. Die Menschen wollen wissen, woher die Tiere kommen und wo sie geschlachtet wurden.»
Doch genau in dieser Nähe liegt ein weiteres Problem, mit dem sich viele Kleinbetriebe konfrontiert sehen. In der Nachbarschaft kommt es nicht nur gut an, dass gleich nebenan Tiere getötet werden. «Es ist schon vorgekommen, dass es Leute stört», sagt Jucker. Zum Beispiel Eltern, die nicht wollen, dass ihre Kinder auf dem Schulweg Zeugen einer Schlachtung werden.
Hauptsächlich beschwerten sich die Menschen aber über den Lärm – von Menschen, Traktoren oder Lastwagen, die die Tiere abliefern. «Dies ist ein Grund, weshalb wir hier keine Schweine mehr schlachten», sagt Jucker. Schweine wurden bei den Juckers jeweils schon um halb fünf Uhr angeliefert. Also dann, wenn die meisten Leute noch im Bett liegen.
Wo Tiere auf dem Hof sterben
Dass Menschen nicht sehen wollen, wie aus dem Tier Fleisch wird, weiss Magdalena Weibel nur zu gut. Sie ist auf dem Yamagishi-Hof in Hagenbuch für das Vieh zuständig. Immer wieder komme es vor, dass Menschen sie dafür kritisierten, Nutztiere zu halten. «Für die Menschen liegen zwischen dem Produkt auf dem Teller und dem Tier oft Welten.» Dabei könnten sich Leben und Tod auf dem Yamagishi-Hof nicht näher sein. Denn in Hagenbuch sterben die Tiere direkt auf dem Hof.
Es ist noch dunkel, als Weibel an einem Morgen im November das Gatter zum Aussengehege öffnet. In der Nacht hat es geregnet. «Seid ihr nass geworden?», fragt Weibel die schwarz-braunen Rinder im Stroh freundlich. Einen Namen haben die Tiere im Gehege nicht. Sie wolle es vermeiden, mit den Rindern eine zu tiefe Bindung einzugehen.
Weibel ist direkt. Sie sagt, was sie denkt, und weiss, wie man anpackt. Und doch wirkt sie weder ruppig noch roh. Mit ruhigen Schritten geht sie durchs Gehege und trennt eines der Rinder vom Rest der Gruppe. «Gerannt wird hier auf keinen Fall», sagt sie. Um jeden Preis wolle sie verhindern, dass die Tiere unnötigem Stress ausgesetzt seien. «Für die Rinder soll das hier ein Morgen wie jeder andere sein.»
Tatsächlich merkt man den Tieren nicht an, dass heute ein besonderer Tag ist. Selbst als Metzger Damian Signer mit seinem Anhänger vorfährt, bleibt es ruhig. Der Appenzeller führt mit seiner Firma Waidwerker GmbH seit knapp zwei Jahren Hof- und Weidetötungen durch. So auch an diesem Morgen in Hagenbuch.
Während Weibel dem Rind weiter gut zuredet, stellt Signer ein Schale Futter vor den Zaun. Zuerst zögert das Rind, dann streckt es den Kopf durch das Loch und beginnt zu fressen. Mit einem schnellen Griff, aber ohne Hektik, fixiert Signer den Kopf des Rindes in einer Vorrichtung, die im Zaun eingelassen ist. Dann setzt er zum Bolzenschuss an und drückt ab. Sofort sackt das Tier zusammen. Die anderen Rinder schauen interessiert herüber. Beunruhigt oder gar verängstigt wirken sie nicht.
Nach der Betäubung muss es schnell gehen. Mit einem Teleskoplader hebt ein Mitarbeiter des Yamagishi-Hofs das Rind am Bein über den Anhänger des Metzgers. Signer sticht mit einem Messer in die Brust des Rindes, das Blut fliesst in den Anhänger. Von der Betäubung bis zum Stich dürfen nicht mehr als 60 Sekunden verstreichen.
Der Zeitplan bleibt eng. Mit dem toten Tier fährt Signer zur Metzgerei Jucker nach Kollbrunn. Dort wird der Körper in zwei Hälften zerteilt. Verarbeitet wird das Fleisch in der hofeigenen Metzgerei des Yamagishi-Hofs.
Transporte vermeiden
Hof- und Weidetötungen sind in der Schweiz seit 2020 erlaubt. Im Kanton Zürich haben bisher drei Landwirtschaftsbetriebe die Bewilligung erhalten, Hoftötungen durchzuführen. Für die Durchführung von Weidetötungen hat der Kanton bisher eine Bewilligung ausgestellt.
Für das Tier mache es keinen Unterschied, ob es auf dem Hof oder im Grossschlachtbetrieb getötet werde, sagt Weibel vom Yamagishi-Hof. Die 56-Jährige weiss, wovon sie spricht: Sie hat zehn Jahre lang in Grossbetrieben in St. Gallen und Zürich geschlachtet, im Akkord, manchmal über 1000 Tiere pro Tag. «Die Betäubung und Tötung ist letztendlich genau gleich, ob dies nun auf dem Hof, im kleinen Schlachthüsli oder im Grossbetrieb geschieht.»
Weibel sieht im Transport das Problem – besonders dann, wenn das Tier nicht durch den Landwirt, sondern durch einen Viehhändler zum Schlachthof gebracht wird: «Für die Tiere ist es enorm stressig, wenn sie von der Herde getrennt, verladen und an einen fremden Ort gebracht werden, wo sie auf Menschen und Tiere treffen, die sich nicht kennen.» Das mache sich auch im Produkt bemerkbar: «Das Fleisch von gestressten Tieren ist zäh und trocken. Das merkt man sofort. Und ich will kein Tier essen, von dem ich merke, dass es vor seinem Tod Stress durchlebt hat.»
Das Problem mit den Notschlachtungen
Laut Simon Herzog, Präsident des Schlachthüsli-Vereins Gundetswil, ist der Weg vor allem dann problematisch, wenn ein Tier verletzt oder krank ist. Bricht sich eine Kuh das Bein, darf keine Zeit verloren gehen. «Diese Tiere können nicht mehr durch die Gegend gekarrt und im Grossschlachthof gemetzget werden», sagt Herzog. Es werde darauf hinauslaufen, dass mehr Tiere durch den Tierarzt eingeschläfert und dann entsorgt werden müssten.
Der Schlachthüsli-Verein Gundetswil hat sich mittlerweile dem Regionalschlachthaus Agasul bei Illnau-Effretikon angeschlossen. Dort metzget auch Roman Böni neben seiner Tätigkeit in Gundetswil schon seit Jahren. Auch seine Gundetswiler Kunden wollen in Zukunft mit ihren Tieren nach Agasul fahren, sagt Böni.
Für sie sei es Teil ihrer Philosophie, ihre Tiere in ein kleines Schlachthaus zu bringen. «Sie wollen wissen, wer das Fleisch verarbeitet und wie es verarbeitet wird», sagt Böni. Dann öffnet er die Türe zur Tiefkühlkammer und bringt das Lamm hinein. Dort hängen bereits zwei andere Lämmer. Böni hat sie am frühen Morgen geschlachtet. Trotz der Zeit, die seither vergangen ist, zucken vereinzelte Muskeln immer noch.