Brandgefährliche Stoffe im Cannabis

Region Die Suchtpräventionsstelle Zürcher Oberland warnt: Cannabisprodukte in der Schweiz sind immer öftermit synthetischen Cannabinoiden versetzt. Eine unsichtbare Gefahr, die zum Tod führen kann.

Selbst erfahrene Kiffer haben keine Chance den Fake zu erkennen. Foto: Unsplash.

Gute Musik, Gesellschaft und Gras. Für einige klingt das nach dem perfekten Abend. Bis alles anders kommt: Nach ein paar Zügen vom Joint breitet sich statt des wohligen Gefühls Übelkeit aus. Das Herz beginnt zu rasen, das Blut pocht in den Schläfen, und alles wird plötzlich schwarz.

Dieser Albtraum eines jeden Cannabiskonsumenten wird immer wahrscheinlicher, warnt die Suchtpräventionsstelle Zürcher Oberland. Grund dafür sind synthetische Cannabinoide, die den regulären Cannabisprodukten beigemischt werden. Das Problem: Sogar für eingesessene Cannabiskenner ist es unmöglich, die brandgefährliche synthetische Substanz im Gras zu erkennen.

Der Rausch aus dem Labor

Was das natürlich im Cannabis vorkommende psychoaktive THC mit synthetischen Cannabinoiden gemeinsam hat: Eine berauschende Wirkung. Doch anders als THC entstehen synthetische Cannabinoide nicht in der Marihuanapflanze, sondern im Labor. Sie können bis zu 200-mal stärker wirken als gewöhnliches THC-haltiges Marihuana.

In den 1990er Jahren als potenzielles Arzneimittel entwickelt, zirkuliert das Fake-Gras seit 2008 unter dem Namen «Spice» oder als «Kräutermischung» auf dem illegalen Drogenmarkt der Schweiz. Heute werden die Substanzen in den meisten Fällen auf CBD-Gras gesprayt und dann als THC-haltiges Marihuana verkauft. CBD-Gras ist seit 2016 in der Schweiz legal und hat einen THC-Wert von unter einem Prozent. Während synthetische Cannabinoide noch vor einigen Jahren als Randerscheinung galten, boomt ihr Verkauf in den letzten Jahren regelrecht. Laut Kantonspolizei Zürich hat die Verbreitung synthetischer Cannabinoide seit 2019 stetig zugenommen.

Hälfte der Proben ist positiv

Wie viel Stoff mittlerweile tatsächlich im Umlauf sei, könne zwar nur schwer abgeschätzt werden. Doch die Anzahl Proben, die die Kantonspolizei sicherstelle, liesse darauf schliessen, dass das gepanschte Gras bereits recht verbreitet sei. Einen Hinweis auf die effektive Verbreitung liefert das Stadtzürcher Drogeninformationszentrum DIZ.

Dort wurden im letzten Jahr 155 Cannabisproben mit Verdacht auf synthetische Cannabinoide analysiert. Fast die Hälfte der Proben waren tatsächlich gefakt. Die Befunde des DIZ bereiten Fridolin Heer, Leiter der Suchtpräventionsstelle Zürcher Oberland, grosse Sorgen. Besorgniserregend ist die Situation laut Heer vor allem, da die meisten Konsumenten gar keine Ahnung haben, was sie da wirklich inhalieren.

«Das mit synthetischen Cannabinoiden versetzte Gras wird auf dem illegalen Drogenmarkt als echtes THC-haltiges Marihuana angepriesen. Konsumenten haben keine Chance, den Fake zu bemerken.» Denn: Ob das gekaufte Gras synthetische Cannabinoide enthält, lässt sich weder von blossem Auge noch mit einem Schnelltest herausfinden. Nur eine Laboruntersuchung verspricht Gewissheit.

Russisches Roulette

Es helfe auch nicht, das Gras nur von Freunden oder beim Dealer des Vertrauens zu kaufen, erklärt Heer. Denn oftmals wisse selbst der Dealer nicht, was er da wirklich verkaufe. Es kann also sein, dass man beim selben Dealer in der einen Woche echtes THC-Gras und in der nächsten bereits gepanschtes bekommt. «Man weiss einfach nie, was man kriegt. Deshalb raten wir von der Suchtpräventionsstelle grundsätzlich davon ab, auf dem Schwarzmarkt gekauftes Cannabis aus unbekannter Produktion zu konsumieren», sagt Heer.

Wird synthetisches Cannabis konsumiert, dann kann es sehr schnell gefährlich werden. «Synthetische Cannabinoide wirken bereits bei sehr geringer Dosis giftig», sagt Heer. Die Gefahr einer Überdosierung sei gross. «Auch weil sich die Substanzen praktisch nicht gleichmässig auf die Blüten auftragen lassen. Es entstehen sogenannte Hot-Pockets – also Stellen, an denen die Konzentration noch einmal deutlich höher ist.»

Seit 2015 mehrere Tote

Auch die Liste der Nebenwirkungen liest sich wie ein Schauermärchen. Von Herzrasen über Krampfanfälle, gewaltsamen und aggressivem Verhalten bis hin zu Psychosen. Im schlimmsten Fall kann das Fake-Gras sogar zum Tod führen.

Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hat allein in Europa zwischen 2015 und 2018 insgesamt 28 Todesfälle im Zusammenhang mit synthetischen Cannabinoiden registriert.

Werden synthetische Cannabinoide zum Beispiel zusammen mit Medikamenten wie Xanax konsumiert, sind die möglichen Wechselwirkungen kaum abzuschätzen.
— Fridolin Heer, Leiter der Suchtpräventionsstelle Zürcher Oberland

Auch beim rechtsmedizinischen Institut der Universität Zürich (IRM) kennt man das Problem. Im letzten Jahr hat man dort einen Todesfall untersucht, bei dem synthetische Cannabinoide im Spiel waren. Ob das gefakte Gras in diesem Fall wirklich todesursächlich war, lässt sich laut IRM nicht genau feststellen, da auch noch andere Substanzen konsumiert wurden. Gerade dieser zunehmende Trend zum Mischkonsum beunruhigt Heer. «Werden synthetische Cannabinoide zum Beispiel zusammen mit Medikamenten wie Xanax konsumiert, sind die möglichen Wechselwirkungen kaum abzuschätzen.»

Ein Phänomen der Schweiz

Wie das DIZ in einem Bericht vom letzten September schreibt, lassen Beobachtungen im Ausland darauf schliessen, dass es sich beim vermehrten Auftreten von synthetischen Cannabinoiden um ein Schweizer Phänomen handelt.

Eine mögliche Erklärung für diese Beobachtung hat man bei der Suchtpräventionsstelle Zürcher Oberland: «Nachdem 2016 CBD-Hanf legalisiert wurde, hat die Produktion regelrecht geboomt. Überall sprossen Hersteller aus dem Boden», sagt Heer. Doch schon bald seien die Preise eingebrochen und die Goldgräberstimmung vorüber gewesen. «Jetzt landet der Industriehanf in den Händen krimineller Organisationen, die ihn mit synthetischen Cannabinoiden besprühen und auf dem Schwarzmarkt verkaufen.»

Das Pulver aus Fernost

Und dieses tödliche Geschäft lohnt sich: Ein Gramm THC-reiches Marihuana kostet auf dem Schwarzmarkt laut DIZ rund 10 Franken. Der Preis für ein Kilo Industriehanf liegt bei rund 1000 Franken. Behandelt man CBD-Hanf mit synthetischen Cannabinoiden und verkauft es als THC-Gras, erzielt man einen rund zehnmal höheren Gewinn. Gemäss dem Forensischen Institut Zürich (FOR) lassen sich mit nur einem Kilo künstlich hergestelltem Cannabinoid rund zwei bis drei Tonnen CBD-Hanfblüten behandeln. Das Pulver wird meist von Chemieunternehmen in China produziert. Von dort gelangen die synthetischen Cannabinoide via Kurierdienste in die Schweiz.

Regulierung von THC-Gras

Seit dem 15. Mai laufen in verschiedenen Schweizer Städten Pilotversuche über die geregelte Abgabe von THC-haltigem Cannabis. Würde der Versuch landesweit umgesetzt, müssten Konsumenten ihren Stoff nicht mehr beim Strassendealer erwerben, sondern könnten Gras aus sicherer und regulierter Produktion beziehen.

Wir werden als Gesellschaft nicht abstinent sein. Wir müssen also einen Weg finden, den Konsum, den wir nicht verhindern können, so sicher wie möglich zu machen.
— Fridolin Heer, Leiter der Suchtpräventionsstelle Zürcher Oberland

Mit der geregelten Abgabe von Cannabis gegen synthetische Cannabinoide? Fridolin Heer ist da vorsichtig. «Man weiss aus anderen Ländern, dass eine Abgabe von Cannabis auch immer Nachteile mit sich bringt.» Deshalb sei es wichtig, besonders genau hinzuschauen. «Kommt es zu einer Regulierung beim Cannabis, ist es mir ein Anliegen, dass der Jugendschutz konsequent umgesetzt wird.» Dies sei leider bereits bei Alkohol und Tabak nicht der Fall.

Klar ist für Heer aber auch: «Wir werden als Gesellschaft nicht abstinent sein. Wir müssen also einen Weg finden, den Konsum, den wir nicht verhindern können, so sicher wie möglich zu machen.»


Wie kann man sich schützen?

Die Suchtpräventionsstelle Zürcher Oberland rät dringend davon ab, Cannabisprodukte aus unbekannter Produktion zu konsumieren. Wer dennoch auf dem Schwarzmarkt gekauftes Cannabis konsumiert, sollte folgende Punkte beachten:

1. Cannabisprodukte gut mischen, am besten mit einem Grinder.

2. Zwei bis drei Züge inhalieren, danach den Joint weglegen und mindestens 15 Minuten warten. Wenn sich eine ungewöhnliche Wirkung einstellt, den Konsum stoppen.

3. Cannabis nicht mit anderen Drogen und Medikamenten kombinieren.

4. Nie allein konsumieren.

5. Cannabisproben können im DIZ in der Stadt Zürich getestet werden. Das Angebot ist anonym und kostenlos. Im Zürcher Oberland gibt es zurzeit keine Testmöglichkeiten.

6. Mit CBD-Schnelltests kann herausgefunden werden, ob es sich bei der Probe um Industriehanf handelt. Ist dies der Fall,ist die Chance gross, dass hier synthetische Cannabinoide zum Einsatz gekommen sind. Aber Achtung: Auch der CBD-Schnelltest kann synthetische Cannabinoide nicht nachweisen. Gewissheit hat man nur nach einer Untersuchung im Labor. (fgr)

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