Bekämpfung von Berufkraut: Endlich packt der Kanton mit an
Gossau Die Gemeinde versucht dem invasiven Neophyten seit gut drei Jahren den Garaus zu machen. Vom Kanton fühlte sie sichdabei lange allein gelassen. Nun endlich nimmt die Zusammenarbeit Fahrt auf.
Wenn Landwirt Hans Wüthrich sieht, wie auf seiner Wiese weiss-gelbe Blümchen spriessen, dann schlägt ihm das Herz bis zum Hals. Nicht aus Freude, sondern aus Stress. Denn so nett das Pflänzlein für den ungeschulten Naturenthusiasten aussehen mag, für Bauern wie Wüthrich bedeutet dessen Anblick vor allem eines: jede Menge Arbeit.
Einjähriges Berufkraut – so lautet der eher unspektakuläre Name des floralen Übeltäters. Einst aus Nordamerika eingeführt, ist das Kraut heute nicht nur auf Wüthrichs Wiesen zu finden, sondern auch auf der schwarzen Liste der invasiven Neophyten; also jener gebietsfremden Pflanzenarten, die heimische Pflanzen verdrängen.
Ein hartnäckiges Blümchen
Im Vergleich zu anderen unerwünschten Pflanzenarten ist das Berufkraut besonders hartnäckig: Eine einzige Pflanze kann bis zu 50 000 Samen produzieren. Diese werden mit dem Wind verweht und sorgen dafür, dass im nächsten Jahr Tausende neue Pflanzen blühen. Denn bereits ein Samen reicht aus, damit eine neue Pflanze entsteht. Deshalb empfiehlt das kantonale Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel), Flächen, auf denen es noch fast kein Berufkraut gibt, systematisch zu beobachten und Pflanzen bereits auszureissen, bevor sie verblühen.
Mit dabei an vorderster Front im Kampf gegen das Berufkraut sind die Bauern. Sie müssen die Pflanzen auf ihrem Land entfernen. Tun sie das nicht, kann der Kanton die landwirtschaftlichen Direktzahlungen kürzen. Auch Hans Wüthrich muss die Wie-sen seines Hofs in Gossau regelmässig vom Berufkraut befreien. Die Situation sei für die Bauern eine grosse Belastung, sagt er. Dabei gehe es nicht nur ums Geld. «Das Jäten des Berufkrauts ist extrem zeitintensiv.» Mit einem grossen Schraubenzieher müssten die weiss-gelben Blümchen von Hand ausgestochen werden. «Das ist eine richtige ‹Niffelibüez›», sagt Wüthrich.
Käthy Angele von der Gemeindestelle für Landwirtschaft der Gemeinden Gossau und Bubikon kennt die Sorgen der Bauern. Sie ist das Bindeglied zwischen den Bauern und den kantonalen Stellen. Bisher sei es zwar noch nicht zu Kürzungen von Direktzahlungen gekommen, sagt Angele. Doch die Lage der Bauern sei trotzdem frustrierend. Denn: «Die Bauern müssen jäten, was das Zeug hält, während das Berufkraut in Privatgärten und auf Kantonsland teilweise spriesst wie gesät.»
Auch Wüthrich musste diese Erfahrung machen. Er fühlte sich mit dem Neophytenproblem vom Kanton lange allein gelassen. Während er jätete, musste er zusehen, wie das Berufkraut neben seinem Land auf kantonalen Flächen entlang von Staatsstrassen fröhlich weiterwuchs – nur um sich dann von dort wieder auf seinen Wiesen auszubreiten. «Da fühlt man sich ohnmächtig», sagt der Landwirt.
Bessere Zusammenarbeit
Doch seit einiger Zeit weht in Gossau ein anderer Wind. «Die Zusammenarbeit mit dem Kanton in der Neophytenbekämpfung hat sich im letzten Jahr stark verbessert», bestätigt Thomas-Peter Binder, Gemeindeschreiber von Gossau. «Das freut uns, denn die Beteiligung des Kantons an der Bekämpfung ist für uns äusserst wichtig.»
Auch Angele merkt, dass sich etwas getan hat. Nachdem der Kanton das Problem lange unterschätzt habe, laufe die Zusammenarbeit mittlerweile wirklich gut, sagt sie. «Es ist eine grosse Erleichterung. Man kann das Berufkraut nur effektiv bekämpfen, wenn alle Betroffenen mitmachen.» Selbstverständlich ist die Mitarbeit des Kantons allerdings nicht. Gossau musste lange dafür kämpfen. Bereits 2018 reichte der Gemeinderat bei Bundund Kanton ein entsprechendes Schreiben ein. 2019 folgte ein durch den Gossauer Kantonsrat Daniel Wäfler (SVP) miteingereichtes Postulat.
Rolf Vaqué vom kantonalen Tiefbauamt erklärt, wieso es nun besser klappt mit der Zusammenarbeit: «Vor drei Jahren hat der Kantonsrat unser Budget für den naturnahen Unterhalt der Böschungen im Rahmen der Budgetberatung erhöht.» Das beinhalte auch die Neophytenbekämpfung. «Damit verfügt das Tiefbauamt auch tatsächlich über die Gelder, die nötig sind, um das Berufkraut zu bekämpfen.»
Anders als zum Beispiel der Riesenbärenklau ist das Berufkraut im Kanton Zürich nicht bekämpfungspflichtig. Deshalb muss der Kanton es auch nicht zwingend entfernen. «Es ist aber auf jeden Fall sinnvoll, dass wir gerade in Gemeinden auch mitmachen, die selbst aktiv gegen das Berufkraut vorgehen», sagt Vaqué. Deshalb habe man mit diesen Gemeinden die Zusammenarbeit in letzter Zeit intensiviert.
Oberländer Pilotgemeinden
Neben Gossau nehmen auch die Gemeinden Hinwil, Grüningen und Bubikon den Kampf gegen das Berufkraut besonders ernst. Diese sogenannten Pilotgemeinden haben in den letzten Jahren alle eine ausgereifte Bekämpfungsstrategie entwickelt. Ein wichtiger Teil der Gossauer Strategie ist das sogenannte Neophyten-Inventar. Darin sind insgesamt 426 Standorte mit invasiven Neophyten eingetragen. Sind die Pflanzen ausgemacht, werden sie in Zusammenarbeit mit den Zivildienstleistenden des Vereins ‹Konkret› entfernt. Im Jahr 2020 wurden so an 54 Arbeitstagen insgesamt 1544 Stunden im Feld geleistet. In Gossau werden ausserdem betroffene Bauern wie Wüthrich von der Gemeinde unterstützt: «Denn wir können und wollen die Landwirte mit betroffenen Flächen nicht allein lassen», sagt Angele. «Unser Ziel ist, dass kein weiteres Berufkraut versamt.»
Dass die Berufkrautbekämpfung endlich Fahrt aufnimmt, freut nicht nur die Gemeinde, sondern auch Hans Wüthrich. «Es ist eine unglaubliche Erleichterung», sagt er. Jetzt habe man die Chance, in der Bekämpfung von invasiven Pflanzen das Ruder rumzureissen. Denn habe sich das weiss-gelbe Blümchen erst einmal richtig ausgebreitet, kriege man es auch mit grossem Engagement nicht mehr unter Kontrolle.
Vom Segen zum Übel
Mit Berufen hat das Berufkraut übrigens nichts zu tun. Der Name kommt daher, dass man das Berufkraut früher zum Schutz vor dem Verfluchen und Verhexen, dem sogenannten «Berufen», eingesetzt hat. Der Aberglaube besagte: Wird man vom bösen Blick getroffen, von einer dunklen Macht befallen oder verhext, hilft ein Bad oder eine Räucherungmit Berufkräutern. (fgr)